Beim Nahost-Friedenprozess werden die Palästinenser enttäuscht
: Im kritischen Stadium

Im Fernsehen sah man die Weinachtsmesse in Bethlehem mit Jassir Arafat und seiner (als Christin geborenen) Frau in der ersten Reihe. Der erste palästinensische Kardinal hielt eine Predigt, in der er das Recht der Palästinenser auf Selbstständigkeit betonte. Die Ministerpräsidenten Italiens und Spaniens hörten zu. Aber dieser optimistische Moment ging vorbei, die trübe Stimmung blieb. Die Hoffnung, die mit der Wahl Ehud Baraks auch in den palästinensischen Gebieten aufblühte, ist beinahe erloschen.

Das hat viel damit zu tun, dass der syrische Präsident sich plötzlich in den Friedensprozess eingeschaltet hat. Hafis al-Assad ist nicht als großer Humanist und Friedensliebhaber bekannt, aber er hat sich entschlossen, Frieden mit Israel zu schließen, und zwar sofort. Hinter den Kulissen hat Amerika schon die Bedingungen ausgemacht: Israel wird die ganzen Golanhöhen räumen, das Gebiet wird demilitarisiert, diplomatische und wirtschaftliche Beziehungen werden aufgenommen. Zur Debatte steht, wann und wie das alles zu Stande kommen soll, wo genau die Grenzen gezogen werden, ob und wo fremde (vielleicht auch deutsche?) Truppen stationiert werden sollen. Alle Anzeichen belegen, dass das diesmal ernst ist. Assad und seine Leute sprechen plötzlich eine Sprache, die ihnen bis jetzt vollkommen fremd war. Die Hisbullah-Guerillas, die stellvertretend für Assad im Libanon gegen Israel kämpfen, werden am Zügel gehalten. Assad will das Land seinem Sohn Baschar in Frieden vererben und dafür große Summen von Amerika bekommen.

Für Barak ist das ein Geschenk Gottes. Israel will immer Frieden mit arabischen Staaten, besonders wenn sie Massenvernichtungswaffen besitzen. Ein Friedensvertrag mit Assad wird es ermöglichen, die israelischen Truppen und lokale Söldner aus Südlibanon zurückzuziehen, eine Sache, die in Israel äußerst populär ist. Bei weitem weniger populär ist es, die Siedler aus den Golanhöhen zurückzuholen. Barak hat einen Volksentscheid versprochen. Die Siedler und ihre nationalistisch-religiösen Bundesgenossen haben schon angefangen, eine wütende Gegenpropaganda zu betreiben. Um eine massive Mehrheit zu erreichen, muss Barak auch den orientalisch-jüdischen Sektor für den Frieden gewinnen. Das ist nicht billig. Der dominante Faktor in diesem Sektor ist die orthodoxe Schas-Partei, die diese Situation ausnutzt, um riesige Summen vom Staatshaushalt für ihr selbstständiges Erziehungswesen zu gewinnen. Sie muss bestochen werden, und Barak wird das tun.

Die Palästinenser sehen zu und sind bedrückt. Zwar tut Barak alles, um sie zu beschwichtigen. Er hat Arafat in Ramallah besucht – das erste Mal, dass ein israelischer Ministerpräsident ein palästinensisch regiertes Gebiet betreten hat. Er hat versprochen, diese Verhandlungen mit Syrien nicht auf Kosten der Palästinenser zu führen. Aber das sind schöne Worte. Damit sind die Palästinenser versorgt.

Es ist kein Zufall, das Barak – und alle israelischen Medien – über „Frieden“ mit Syrien und dem Libanon, aber nur über einen „permanenten Status“ für die Palästinenser reden. Syrien ist ein Staat, ebenso wie Ägypten und Jordanien. Die Palästinenser sind nur ein Volk. Barak ist bereit, einen palästinensischen Staat anzuerkennen – unter Bedingungen, die für Arafat fast unannehmbar sind: Große Teile des Westjordanlandes und des Gaza-Streifens sollen von Israel annektiert werden; die Grenzen des Staates sowie die Wasserressourcen und die Wirtschaft sollen praktisch weiterhin unter israelischer Kontolle stehen, die Rückkehr der Flüchtlinge und die Rechte der Araber in Jerusalem nicht verhandelt werden.

Ein israelisch-syrischer Frieden bedeutet, dass die Palästinenser im kritischsten Stadium ihres Kampfes Israel einsam und isoliert gegenüberstehen werden. Darüber wird sich Assad freuen: Er hasst Arafat seit langem, weil dieser nie bereit war, sich unter syrische Schutzherrschaft zu stellen. Für Assad ist Palästina nichts anderes als Südsyrien, und der palästinensische Anspruch auf Selbstständigkeit ärgert ihn ebenso wie die meisten Israelis. Frieden mit Israel zu machen und die Palästinenser in der Luft baumeln lassen, ist für ihn eine süße Rache. Barak ist bereit, das auszunutzen. Das ist clever. Die Frage ist, ob das auch klug ist. Uri Avnery

Der Autor war Mitglied der Knesset und lebt als Publizist in Tel Aviv