Das Jahrtausend, das war (Nr. 2)

Alias: Das waren in der bunten Welt sportlicher Betätigungen und Merkwürdigkeiten die vergangenen 52.175 Wochen, die waren ■ Vom Historikerduo Matti Lieske und Bernd Müllender

Shanghai, 1368: Fatale sportliche Fehlentscheidung: Die Ming-Dynastie setzt auf Boxen statt auf Fußball. Das Volk rächt sich mit Tischtennis.

Berlin (terra barbarum), mons crucis, via lucullus, 1. 1. 1000: Aufgeregt diskutieren die Menschen die Rückschau der undruckbaren Flüster-Zeitung „de tazibus“ über die Rubrik „Das war das Jahrtausend, das war (Nr. 1)“ vom Vortag. Stündlich wird mit dem Weltuntergang gerechnet.

Bar Harbour, 1003: Der 1. America’s Cup der Segler findet statt: Souveräner Sieger wird Thorfinn Karlsefnis, der mit seiner Yacht „Viking One“ als einziger Teilnehmer von Europa aus die Küste Maines erreicht.

Hastings, 1066: Der „Sport“ wird erfunden. Nachdem bisher immer nur von „Leibesübungen“ die Rede war, prägt der Normannenkönig Wilhelm der Eroberer mit seinem Satz „No sports please“ einen neuen Begriff.

Ulm, 1100: Das Fair Play macht Fortschritte. In der Disziplin „Armbrust auf lebende Ziele“ werden Regeln erlassen, die das Schießen auf Christen verbieten.

Poitiers, 1105: Ein fast ausschließlich aus Bischöfen bestehendes Fußballteam gewinnt überlegen die Stadtmeisterschaft. Bis zum ersten WM-Titel einer französischen Mannschaft (skandalöserweise ohne jeden Bischof) sollen noch 893 Jahre vergehen.

Göttingen, 1119: Erfindung des Prämodernen Fünfkampfes: Ritter wetteifern im Laufen, Springen, Wackersteinstoßen, Speerwerfen und Ringen. Erst viel später werden Pferde erfunden und kommen sogleich zum Einsatz.

Auxerre, 1147: Die Weichen für den Gewinn der französischen Fußball-Meisterschaft 1996 durch den kleinen Club des Weinortes sind gestellt: Jeder Mönch des örtlichen Klosters wird von Coach Guy Roux verpflichtet, beim Eintritt sieben Bälle mitzubringen.

Oslo, 1205: Norwegens König Hakon IV. (2) erfindet während des Bürgerkriegs den 50-Kilometer-Langlauf, als er auf Skiern vor seinen Verfolgern flieht. Hätte er sie da nicht abgeschüttelt gehabt, müssten die Schnee-Olympioniken heute womöglich 100 Kilometer loipeln.

London, 1221: Vor der St. Mathilda-Kirche in Westminster findet ein Wrestling-Match statt. Unangefochtener Sieger wird Hulk Hogan, damals erst 162 Jahre alt.

Rom, 1240: Der erste Hooligan sucht Italien heim. Es ist ein gewisser Ulrich von Liechtenstein, den die italienischen Sicherheitskräfte nicht stoppen können und der später prahlt, er habe auf seiner Rauftour 307 Lanzen zerbrochen.

Paris, 1261: Thomas von Aquin, taz-Fan der frühen Stunde, lobt in seinen Veröffentlichungen die „Leibesübungen“.

London, 1314: König Ed- ward II. verbietet das Fußballspiel und bekommt zur Strafe später kein Theaterstück von Shakespeare.

Inverness, 1322: Die schottischen Highland Games, insbesondere das Holzklotz- und Wackersteinwerfen, erfreuen sich immer größerer Beliebtheit.

Coventry, 1384: Der Philosoph John Wyclif outet sich als Fußballfan und wird zum Ketzer erklärt.

Tirana, 1452: Albaniens Nationalheld Skanderbeg stellt mit 845 m einen Weltrekord im Bogenweitschießen auf, lehnt aber einen Transfer zur britischen Spitzenmannschaft Sherwood Forest Merry Men aus nationalheldischen Erwägungen ab.

Edinburgh, 1447: Das schottische Parlament verbietet das Golfspiel, es sei denn, es werden Holzklötze und Wackersteine benutzt.

Oslo, 1521: Gustav Wasa, später König Gustav I., tritt in die Skispuren seines Vorgängers Hakon und erfindet auf der Flucht vor den Dänen den Wasa-Lauf.

Orléans, 1540: French Open-Finale im Tennis zwischen Franz I. und Karl V. Über den Sieger wird aus Gründen der Staatsräson Stillschweigen gewahrt.

London, 1550: Der Niedergang des englischen Sports beginnt: Cricket wird populär.

Madison Square Garden, 1603: Der Europäer Dietrich de Bry platzt in ein Basketballspiel „der Wilden in Amerika“. Obwohl die Körbe fünf Meter hoch hängen, gelingen ihm auf Anhieb 12 Punkte und 5 Rebounds. Nach fünf Mannschaftsfouls an sich selbst muss er aussetzen.

England, 1608: In Blackheath wird endlich der erste Golfclub der Welt gegründet. Schirmherr ist Jakob I., ein großer Förderer aller Sportarten außer Holzklotz- und Wackersteinwerfen.

Jena, 1618: „Die erste deutsche Stoß-Fechtschule“ wird eröffnet und es kommt zu den ersten Dolchstoßlegenden.

Paris, 1653: Charles Besnard erfindet den Fechtergruß. Es gibt keine Überlebenden.

New York, 1665: Erstes Pferderennen auf Long Island, erstes illegales Wettbüro in Little Italy.

London, 1725: Ein gewisser John Whitacker verdrischt einen großmäuligen Gondoliere aus Venedig und sorgt für einen Box-Boom in England.

Uhrenlande, 1731: Wettkämpfzeiten werden erstmals auf die Sekunde genau gestoppt. Bis dahin waren nur Platzierungen registriert worden. Kaum lassen sich Zeiten messen und vergleichen, beginnt die Zeit der Rekorde, der Bestenlisten und Statistikfexe.

St. Andrews, 1754: Der schottische Royal and Ancient Golf Club legt verbindliche Regeln fest. Regel 1: „Wackersteine und Holzklötze müssen im Clubhaus abgegeben werden.“

Weimar, 1775: Der begeisterte Eiskunstläufer Goethe kreiert den doppelten Johann-Wolfgang, eine Figur, die nach seinem Tod bald wieder in Vergessenheit gerät und erst viel später als Rittberger wiederkehrt.

Garmisch-Partenkirchen, 1800: Erste deutsche Rodelmeisterschaft. Der Sieger erhält ein halbes Dutzend Weißwürste.

Unspunnen, 1805: Anton Josef Thörig wird Älplermeister im Wackersteinstoßen.

Thiselton-Gab, 1811: Vor 20.000 Zuschauern bei Wetteinsätzen von mehr als einer Million Pfund unterliegt der schwarze amerikanische Boxer Tom Molineaux seinem unterlegenen englischen Gegner Tom Cribb wie schon im ersten Kampf durch Aufgabe. Veranstalter des Fights ist Augenzeugen zufolge ein dicker, dunkler Mann mit zu Berge stehenden Haaren.

London, 1825: Die Fachzeitschrift Sporting Weekly berichtet über ein Fußballmatch zweier Dörfer mit je 500 Spielern. Gespielt wurde von beiden Teams eine ballorientierte Gegnerdeckung mit einer Zweihundertviererkette in der Abwehr, circa 30 Liberos und 143 Spitzen.

Gießen, 1830: Der Lehrer Adolf Spieß gründet einen Turnplatz und erfindet das Rutenlaufen.

Hoboken, 1836: Erste Caledonian Games in den USA. Höhepunkte: Die Disziplinen Wackerstein- und Holzklotzwerfen, die sich später unter den Namen Baseball und American Football landesweit durchsetzen.

London, 1854: William „Turkey“ Smart ist der letzte britische Eisschnellläufer von Weltklasse, bleibt zehn Jahre ungeschlagen und wird später von John Lennon besungen („Cold Turkey“).

Farnborough, 1860: Skandal beim „Boxkampf des Jahrhunderts“. Wegen der Fouls des US-Fighters Heanan gegen den Briten Sayers stürmt das Publikum den Ring. Beide werden zu Weltmeistern erklärt. Veranstalter des Fights ist Augenzeugen zufolge ein dicker, dunkler Mann mit zu Berge stehenden Haaren.

Glasgow, 1872: Im ersten Fußball-Länderspiel der Geschichte trennen sich Schottland und England zukunftweisend 0:0.

New York, 1884: Bei der ersten Wrestling-WM besiegt Karl „Rubezahl“ Abs seinen Gegner William „The Storm“ Muldoon durch einen Overheelbodyslamtwister. Der Sieger darf gegen Hulk Hogan (825) antreten.

Paris, 1903: Bei der zweiten Tour de France muss der Franzose Jean Fischer wegen schweren Durchfalls aufgeben, nachdem er aus einer ihm gereichten Flasche getrunken hat. Das Pasteur-Institut findet heraus: Die Flasche enthielt Zahnputzwasser.

London 1908: Arthur Conan Doyle schleppt den völlig erschöpften Dorando Pietri über die Ziellinie des olympischen Marathonlaufes und sorgt damit für die Disqualifikation des kleinen Italieners. Gute Arbeit, Watson.

Frankfurt a. M., 1915: Der DFB bezeichnet den 1. Weltkrieg als „Riesenländerspiel“.

Paris, 1924: Johnny Weissmuller schwimmt bei den Olympischen Spielen so schön, wie er brüllt, und qualifiziert sich für die Rolle des Tarzan.

New York, 1930: Box-Skandal im Madison Square Garden. Max Schmeling erhält von Jack Sharkey einen Tiefschlag und wird Weltmeister durch Disqualifikation. Veranstalter des Fights ist Augenzeugen zufolge ein dicker, dunkler Mann mit zu Berge stehenden Haaren.

Los Angeles, 1932: Ein gewisser Avery Brundage sorgt dafür, dass der neunfache Goldmedaillengewinner im Langstreckenlauf Paavo Nurmi aus Finnland im Namen des Amateurparagrafen lebenslang gesperrt wird. 40 Jahre später geht er als IOC-Präsident in gleicher Weise gegen den Skiläufer Karl Schranz vor. Da sage einer, Samaranch hätte einen langen Atem.

Nuku‘alofa/Tonga, 1935: Seine Majestät König Taufa’ahau Tupou IV (damals noch 17-jähriger Thronfolger-Aspirant) stellt mit zehn Fuß einen neuen, bis heute gültigen tonganischen Jugend-Landesrekord im Stabhochsprung auf. Gerüchte, der Stabhochsprung für Jugendliche sei seitdem verboten, weist das Herrscherhaus zurück.

Berlin, 1936: Großer NSDAP-Parteitag mit internationaler Beteiligung und Segen des IOC.

London, 1948: Beim olympischen Box-Turnier werden 66 von 85 Kampfrichtern wegen Unfähigkeit nach Hause geschickt – eine später, etwa in Los Angeles oder Seoul, leider nicht mehr angewandte Maßnahme.

Köln, 1952: Der Boxer Peter Müller gewinnt gegen Ringrichter Max Pippow in der 8. Runde durch K.o. Gegner Hans Stretz fühlt sich venachlässigt.

Havanna, 1958: Kubanische Revolutionäre entführen Formel 1-Champion Juan-Manuel Fangio. Eine später leider nicht mehr angewandte Maßnahme des Energiesparens.

Erlangen, 1961: Der Frühling erreicht das Land, und die Menschen feiern die Geburt von Lothar Matthäus.

London, 1966: Deutschland schießt ein Wembley-Tor zu wenig und wird Fußball-Vizeweltmeister.

Houston, 1967: Muhammad Ali hat keinen Streit mit dem Vietcong und wird zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt.

Mexico, 1968: Das Militär würdigt Olympia mit der Ermordung von mindestens 500 Studenten, das IOC hat nichts dagegen.

Brüssel, 1972: Deutschlands Fußball erlebt mit dem EM-Titel seine Blüte.

Kinshasa, 1974: Muhammad Ali erfindet die Sandsack-Taktik und wird gegen Foreman Comeback-Weltmeister.

Madrid, 1982: Deutschland wird erneut Vizeweltmeister im Fußball.

Berlin, 1983: Deutschland glücklich: Die erste Seite taz-Leibesübungen der Neuzeit erscheint.

Aachen, 1985: Zum ersten Mal wird die deutsche Alternativ-Fußballmeisterschaft ausgespielt. Sieger: Flamengo Rosenau aus Nürnberg.

Mexiko, 1986: Deutschland wird zum dritten Mal Vizeweltmeister und führt seitdem die entsprechende Rangliste der Fifa an.

Hartford, 1987: Boris Becker und John McEnroe bekämpfen sich sechseinhalb Stunden lang mit nationalistischen Exzessen. Das Ganze nennt sich Davis Cup.

Seoul, 1988: BRD-Achter gewinnt Olympia-Gold.

Göteborg, 1992: Deutschland wird wieder Vize, diesmal aber nur innerhalb Europas. Schon 1976 gelang dieser Erfolg (Hoeneß, Elfer, „Belgrader Nachthimmel“).

New York, 1994: Deutschland verpaßt die Chance auf den 4. Vizeweltmeistertitel durch ein 1:2 im Viertelfinale gegen Bulgarien.

München, 1999: Bayern München ist Holzkopf Mario Basler los, dem Management fallen daraufhin viele Wackersteine vom Herzen. Der Präsident golft (Handicap 8).

Berlin, 31.12.1999: Die halbe Sportredaktion protestiert gegen den Begriff „Golf (Sport)“ in der Rubrik „Überflüssiges aus 2000 Jahren“ der heutigen Ausgabe.

Lesen Sie am 31. 12. 2999: „Das war das Jahrtausend, das war (Nr. 3)“