4 Tage gegen den Jahr-2000-Crash

■ Angeblich ist alles sicher. In Schilys Behörde sitzen trotzdem 212 Krisenstäbler

Berlin (taz) – Normalerweise reagiert Wirtschaftsstaatssekretär Alfred Tacke allergisch, wenn die japanische Konkurrenz mal wieder um eine Nasenlänge voraus ist. Doch in diesem Fall ist er gerne Nachzügler. Gespannt blickt der Chef des nationalen Jahr-2000-Stabes heute gen Osten: Wenn in Tokio die Sektkorken knallen, zeigen die Uhren im 10. Stock des Berliner Bundesinnenministeriums erst 16 Uhr. Wegen der vorgeschobenen Datumsgrenzen hätte das Krisenteam noch Zeit, um bei Zwischenfällen in Fernost seine eigene Notfallkette zu prüfen.

Vier Tage lang sind 212 Nachrichtentechniker, Informatiker und andere Jahr-2000-Spezialisten in Bereitschaft, um den drohenden Datencrash zu verhindern. Flugzeuge, die wie Steine vom Himmel fallen. Züge, die jedes Haltesignal überfahren. Atomkraftwerke, deren Technik versagt. Der Jahr-2000-Stab ist auf das Schlimmste gefasst. Seit dem Sommer laufen die Sicherheitsvorkehrungen auf Hochtouren. Zweimal haben die Experten den Millenniumswechsel-GAU bereits durchgespielt: Die Computer simulierten weltweite Katastrophen. Blitzschnell musste das Team daraufhin die Krisenmaschinerie in Gang setzen: Kanzler verständigen, Bundesgrenzschutz alarmieren, Warnungen an Rundfunkstationen weiterleiten.

Obgleich die Trockenübungen reibungslos verliefen – an den Ernstfall mag in der Leitzentrale keiner denken. „Ein Problem von solch weltweiter Dimension hatten wir noch nie“, räumt Sprecher Lutz Meyer-Bruns ein. Bei Störfällen in einem russischen Kernkraftwerk könnte die Atomwolke bis nach Mitteleuropa ziehen. Beim Datencrash in einer internationalen Großbank läge auch Deutschlands Wirtschaft lahm.

Dennoch geben sich die Chaosmanager optimistisch: Nicht erst, seitdem der Jahr-2000-Crash droht, besitzen Bund und Länder eigene Krisenstäbe. „Da gibt es eingespielte Verfahren.“

Das Problem besteht in der Fülle von Informationen, die beim Stab der Stäbe zusammenlaufen. Alle sensiblen Ressorts sind mit Tacke und seinem Team vernetzt: Ebenso wie das Verteidigungs- und das Wirtschaftsministerium hat auch Umweltminister Jürgen Trittin Jahr-2000-Beauftragte entsandt. Das Verkehrsministerium hält seinerseits ständig Kontakt zu Flugsicherung, Deutscher Bahn AG, See- und Binnenschiffahrt.

Von der Angst der Amerikaner, die Terroranschläge zum Millennium fürchten, lassen sich die deutschen Krisenexperten nicht anstecken. „Wir verfolgen das aufmerksam, doch konkrete Hinweise gibt es nicht.“ Mehr Sorge machen ihnen die Energieversorger: „Wenn die ausfallen, sind alle Bereiche des öffentlichen Lebens betroffen.“ Sollte tatsächlich etwas schief gehen, stehen ganze Bataillone bereit: 4.000 Mitarbeiter des Technischen Hilfswerks, 11.200 Bundesgrenzschützer und rund 360 Beamte des Bundeskriminalamtes. Der Jahr-2000-Stab ist dank Notstromaggregat und eigenem Funknetz selbst für den totalen Stromausfall gerüstet.

Nur mit den Sektvorräten sieht es schlecht aus. Schließlich müssen die Krisenstäbler im Ernstfall die richtigen Nummern wählen. Auch einen Sonderzuschlag gibt es im Gegensatz zur Polizei nicht. Die bekommt für den „Dienst zu ungünstigen Zeiten“ immerhin 2,50 Mark pro Stunde.

Nicole Maschler