Kroatien steht vor einem Machtwechsel

Bei den heute stattfindenden Parlamentswahlen haben die Oppositionsparteien beste Aussichten zu gewinnen. Dies würde die Rolle des Landes in der Region und sein Verhältnis zu Europa verändern ■ Aus Zagreb Erich Rathfelder

In Kroatien scheint ein Machtwechsel bevorzustehen. Wenn heute abend die Stimmen der knapp 4,2 Millionen Wahlberechtigten für die Wahlen zu einem neuen Parlament, dem Sabor, ausgezählt sein werden, könnte Kroatiens politische Landschaft völlig verändert sein. Denn die beiden Oppositionsblöcke liegen nach allen Wahlprognosen zusammengenommen weit vor der bisher regierenden „Kroatischen Demokratischen Gemeinschaft“ (HDZ). Ohne ihr Zugpferd Franjo Tudjman hat die Partei, die bisher über die absolute Mehrheit der Sitze im Parlament verfügt, kaum noch Aussichten, das Blatt zu wenden.

Noch fürchten die Oppositionspolitiker, viele unentschlossene Wähler könnten sich in letzter Minute für die bisherigen Machthaber entscheiden. Doch vieles spricht dafür, daß die Prognosen der wirklichen Stimmung im Lande entsprechen. Denn fünf Jahre nach Beendigung des Krieges hat sich die wirtschaftliche und soziale Lage der Bevölkerung keineswegs verbessert. Hohe Steuern erdrücken die Aktivitäten der kleinen und mittleren Betriebe, der künstlich hoch gehaltene Kurs der Währung Kuna verteuert die eigenen Waren, der Krieg im Kosovo hat den Tourismus weiter schrumpfen lassen, und die Wirtschaftsreform ist in den Augen der meisten Menschen misslungen. Wenn es der HDZ bei den letzten Wahlen noch gelungen war, den Niedergang der Wirtschaft mit den Kosten des Krieges zu erklären, so kann heute diese Entschuldigung nicht mehr gelten.

Vor allem die Art,wie die Privatisierung der Wirtschaft vorangetrieben wird, ist auf Unmut gestoßen. Viele der staatlichen Betriebe wurden von Parteigängern der HDZ übernommen. Anstatt die Betriebe mit neuem Kapital auszustatten und zu modernisieren, hätten die neuen Besitzer lediglich ein Interesse gezeigt, Grundbesitz und Produktionsmittel zu veräußern und sich selbst zu bereichern, lautet ein weit verbreiteter Vorwurf. Die HDZ habe das Land an den Rand des wirtschaftlichen Abgrunds geführt.

Die hinter der Politik der HDZ stehende „Mentalität“ sei zum Hemmnis für die Entwicklung geworden, das Denken in totalitären Mustern sei Schuld am Niedergang Kroatiens, kritisieren oppositionelle Politiker. Der Staat werde von der HDZ als ihr Besitz wahrgenommen, die Justiz sei nicht unabhängig, mit der Kontrolle der elektronischen Massenmedien habe man versucht, die Bevölkerung einseitig zu beeinflussen.

Während die aus der kommunistischen Partei hervorgegangene Sozialdemokratische Partei SDP sich modernisiert hat und heute im Bündnis mit der Liberalen Partei HSLS für eine liberale Wirtschaftsreform und für die Demokratisierung des Staates wirbt, stehen die angeblichen Antikommunisten der HDZ weiter für eine staatlich gelenkte Wirtschaft und den zentralistischen Staat ein. Die SDP/HSLS-Koalition liegt denn auch bei den Umfragen mit rund 35 Prozent deutlich vor der HDZ mit 26 Prozent.

Auch der dritte Wahlblock, der so genannte Cetvorka, der mit 18 Prozent der Stimmen rechnen kann, tritt für einen Wechsel ein. Er setzt sich aus vier zentristischen Parteien zusammen, unter ihnen die Kroatische Volkspartei HNS, die Liberale Partei LS – eine Abspaltung von der HSLS - und Regionalparteien. Auch diese Gruppierung steht für Dezentralisierung, demokratische Reformen und eine Wirtschaftsreform, die den Namen auch verdient.

„Europäische Standards“ sollen künftig in Kroatien gelten. „Wir wollen demokratische Standards nicht aus taktischen Gründen, sondern weil dies gut für unsere Gesellschaft ist,“ sagt einer der Spitzenkandidaten der SDP, Sime Lucin. Die Entwicklung des Rechtsstaates sei eine der Voraussetzungen, eine Annäherung an das Europa der EU zu erreichen.

Mit spitzer Feder beklagen kroatische Kommentatoren den von Tudjman erzeugten Widerspruch im Verhältnis zu Europa: Während der ehemalige Präsident Kroatien als einen Teil Mitteleuropas ansah und behauptete, Kroatien habe nichts mit dem Balkan gemein, erzeugte er mit seiner Politik gleichzeitig eine Distanz zu Europa. Heute sei Kroatien weiter von der EU entfernt als Estland oder Litauen, heißt es in der Presse.

Rechtsstaatliche Verhältnisse, wie sie von der Opposition angestrebt werden, müssen viele Parteigänger der HDZ fürchten wie der Teufel das Weihwasser. Denn nach einem Sieg der Opposition bei den Parlamentswahlen wird die bisherige „Privatisierungspolitik“ juristisch aufgearbeitet werden müssen. Nicht nur die Familie Tudjmans gerät in Gefahr, mit Prozessen überzogen zu werden. So hofft dieHDZ, daß die Stimmen der Auslandskroaten helfen werden, das Schlimmste zu verhindern. Vor allem die rund 300.000 wahlberechtigen bosnischen Kroaten, die kroatische Papiere besitzen, gelten als Bank für die HDZ. Und diese Stimmen wurden von den Prognosen nicht erfasst.