„Ich verstehe das als Experiment“

■ taz-Serie „Neu in Berlin“ (12): Der Multimedia-Unternehmer und ehemalige Psychologiestudent Bernd Kolb hat sich bei Sony am Potsdamer Platz einquartiert und will demnächst 200 Leute in Berlin beschäftigen. Und später auf Weltreise gehen

Bernd Kolb, 37 Jahre, Chef der I-D Media AG, eines der größten deutschen Unternehmen im Bereich neue Medien. I-D Media verlegt in Kürze seinen Hauptsitz nach Berlin.

Wir kommen nach Berlin, und zwar so rasch wie möglich. Den Hauptsitz unserer Firma haben wir momentan noch im baden-württembergischen Esslingen, mit rund 300 Mitarbeitern, neben Dependancen in Hamburg, Stuttgart, Babelsberg und London. Wir wollen Ende nächsten Jahres schon mindestens 200 Leute in Berlin beschäftigen. Über jeden, den wir einstellen können, freuen wir uns, denn für uns ist es sehr schwer, geeignete Leute zu finden. Für Berlin haben wir uns vor allem wegen des Recruitment entschieden. Hier ist der Personalmarkt bei weitem nicht so angespannt wie in Hamburg, und die Leute gehen, auch wenn sie woanders sind, momentan gerne nach Berlin.

Es gibt in Deutschland viel zu wenige Studenten, die eine Ausbildung in Informationstechnologie abschließen. Als Unternehmen spüren wir die verheerenden Fehler der Bildungspolitik der letzten fünf bis zehn Jahre. In England machen 1999 fünfmal so viele Studienabgänger in für die Informationstechnologie relevanten Berufen einen Abschluss wie hierzulande. Das ist in Deutschland von der Regierung Kohl verbockt worden. Wenn ich nur an dieses Bonmot des Altbundeskanzlers vor zweieinhalb Jahren denke: Auf die Frage, wie er zur Datenautobahn stehe, sagte er, dass sei eine Sache des Bundesverkehrsministers. Die alte Regierung hat die Relevanz nicht erkannt. Heutzutage gehe ich mit Gerhard Schröder zum Abendessen. Schröder weiß, dass die Informationstechnologie die Bedeutung der Automobilindustrie ablösen wird. Bereits für dieses Jahr erwartet man, dass der Umsatz der Informationstechnologie größer ist als der der Automobilindustrie.

An der Geschichte der neuen Medien hat unsere Firma schon kräftig mitgeschrieben. Bereits 1993 haben wir auf einer CD-ROM ein Lifestylemagazin publiziert. Das war eine völlig neue Sache. Damals musste man den Leuten erklären: Da ist keine Musik drauf, stecken Sie die CD in Ihren Computer. Wenig später haben wir die erste Website eines Unternehmens entworfen, die sich an Endverbraucher richten durfte, für die Zigarettenmarke West. Jetzt haben wir eine der ersten Wap-Dienste entwickelt. Wap ist ein Mobilfunkdatenstandard, der es ermöglicht, mit dem Handy als Basis im Internet zu surfen.

Die Firma habe ich nach dem Ende meines Psychologiestudiums 1988 gegründet. Ich habe, außer als Schüler zur Finanzierung meines Mofas, in meinem Leben noch nie angestellt gearbeitet. Wenn ich mich charakterisieren müsste, würde ich sagen, dass ich ein waschechter Unternehmer bin. Mir gefällt es, wenn ich Dinge bestimmen, entwickeln, treiben und beeinflussen kann. Heutzutage findet „Unternehmen“ im Kopf statt. Dieser Job hat viel mit Fantasie und Kreativität zu tun. Die neuen Medien haben mich sehr fasziniert, als ich vor zehn Jahren bemerkte, wie sie immer stärker zur Plattform des Geschehens werden würden. Jeder muss sich heutzutage dieser Medien bedienen, wenn er etwas vermitteln will.

Das Internet halte ich für revolutionär. Es ist vollkommen demokratisch. Die Nutzung und Benutzung ist anarchisch. Keiner kann dir verbieten, eine Webseite ins Internet zu stellen, und keiner kann verhindern, dass man die anschaut. Jeder kann auf einmal Sender und Empfänger sein, und der Zugang zu diesem Medium ist zudem fast umsonst.

Berlin fasziniert mich, auch wenn nicht alles nur toll ist, was in der Stadt passiert. In einer Stadt würde ich allerdings immer nur da wohnen wollen, wo ich die Stadt auch bemerke. Ich würde nicht in Berlin im Grunewald ein Haus kaufen und es so ländlich und heimatlich wie möglich einrichten. In Berlin habe ich mir jetzt eine Wohnung im Sony-Center am Potsdamer Platz gemietet. Man kann leidenschaftlich darüber streiten, ob man überhaupt so wohnen mag, mit dieser Transparenz und dem Glas. Ich verstehe das als Experiment. Aber es verkörpert für mich das neue Berlin. Ob ich das dann nach einem Jahr noch gut finde, muss ich sehen. Als ich das erste Mal über den Potsdamer Platz lief, hatte ich sofort ein Bild im Kopf, nämlich von dem Band „Asterix in der Trabantenstadt“. Genau das ist für mich der Potsdamer Platz. Der ist schon fast virtuell.

An einem normalen 24-Stunden-Tag beschäftige ich mich 14 Stunden mit Arbeiten, 2 Stunden entspanne ich, 8 Stunden schlafe ich. Ich schlafe rund 200 Nächte im Jahr in Hotels. Meine Tochter, viereinhalb, kommt leider sehr zu kurz. Seit sie e-mailen kann, geht es ein bisschen besser. Aber es ist mit Sicherheit einer der Preise, die man zahlt, wenn man so getrieben ist wie ich.

Aber ich will auf jeden Fall irgendwann etwas ganz anderes machen, nämlich eine richtige Weltreise. Nicht so eine, wo man vier Wochen im Charterflugzeug sitzt, sondern eine, die zwei bis drei Jahre dauert, mit dem Ehrgeiz, in jedem Kulturkreis wenigstens so lange gelebt zu haben, also drei bis vier Monate, bis man begreift, bis man’s spürt und das Fremdsein abgelegt hat. Also auch nicht in klimatisierten Hotels, sondern in der Hütte. Jetzt ringe ich mir den ersten Urlaub in diesem Jahr ab. Ich werde nach Asien fahren. Da mache ich alles, nur das nicht, was ich sonst mache. Ich werde mich dort sehr stark mit dem Garnichts auseinander setzen, das aber so viel ist. Das Garnichts verliert man, wenn man so viel macht wie ich. Dann ist gar nichts eine Reise zu sich selbst. Dann hat man den ganzen Tag gar nichts gemacht, aber mehr mit sich selbst erlebt als in dem Rausch der Ereignisse, in dem ich sonst ja immer drin bin.

Zugehört hat
Annette Rollmann