Zahl der Drogentoten steigt wieder

Seit 1993 gab es nicht mehr so viele Drogentote wie im vergangenen Jahr. NRW-Gesundheitsministerium sieht nur eine „Welle“ in der Statistik. Bundesdrogenbeauftragte Nickels kündigt Gesetzentwurf an ■ Von Isabelle Siemes

Berlin (taz) – Opiumraucher haben ein langes Leben. Auch Morphium- und Kokainsüchtige können alt werden, wie etwa der koksende Psychoanalytiker Sigmund Freud, der über achtzig wurde. Der Schriftsteller Lord Byron labte sich zeitlebens an Laudanum, einem Opium-Wein. Auch mit reinem Heroin, um die Jahrhundertwende als Hustensaft auf den Markt geworfen, können Süchtige hochbetagt werden.

Heute haben die Abhängigen dagegen keine all zu hohe Lebenserwartung. In Stuttgart lag das Alter der Drogentoten im vergangenen Jahr bei durchschnittlich 32,3 Jahren. Zugleich sind in der Stadt 14 Menschen mehr als im Vorjahr an den Folgen ihrer Sucht gestorben, insgesamt 39. Stuttgart liegt damit im bundesweiten Trend.

Die Zahl der Drogentoten ist 1999 auf den höchsten Stand seit 1993 gestiegen: 1.723 Menschen starben an den Folgen des Konsums illegaler Rauschmittel, insbesondere Heroin.

Den höchsten Anstieg von Drogentoten verzeichneten Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg. Das Ministerium in Stuttgart meldet einen Anstieg von 226 auf 270 Rauschgift-Todesfälle. NRW vermeldet 395 für das Jahr 1999. Im Vorjahr waren es noch 360. Diese Entwicklung sei nicht alamierend, erklärt Walter Godenschweger, Sprecher des NRW-Gesundheitsministeriums. „Wellen“ in der Statistik gäbe es bei den Drogentoten immer. Manchmal sei ein unsauberer Stoff auf dem Markt dafür verantwortlich. Auch wenn das Heroin zu rein ist, kann es Tote geben, die sich dann versehentlich eine Überdosis schießen.

Doch die Mischung der Drogen sei für den jüngsten Anstieg nicht verantwortlich, sondern das Alter der Süchtigen, erläutert Godenschweger: „Die Heroinabhängigen werden älter und kränker.“ Über fünfzig Prozent der Männer seien zwischen 25 und 40 Jahre alt. Je länger die Drogenkarriere andauere, desto mehr Krankheiten bekämen die Süchtigen, etwa durch unsaubere Spritzen.

Im von CDU und FDP regierten Baden-Württemberg werden dagegen andere Gründe für den Anstieg der Rauschgifttoten vermutet als im rot-grünen Nordrhein-Westfalen: „Auffallend ist der hohe Missbrauch von Ausweichmitteln, insbesondere von Methadon“, heißt es im Innenministerium. Dieser Ersatzstoff sei bei jedem fünften Toten festgestellt worden. Deshalb will das Minsterium die bisherige Verschreibungspraxis einer „kritischen Überprüfung“ unterziehen.

Den Methadon-Kritikern aus Baden-Württemberg setzt Wolfgang Schneider, Leiter des Drogenhilfevereins Indro in Münster, entgegen: „Mit Drogentoten lässt sich keine Politik machen.“ Auf die Statistiken würden sich Gegner wie Befürworter der Methadonprogramme berufen. Es ließe sich damit sowohl der Ruf nach mehr Prophylaxe wie nach mehr Repression begründen. Für Schneider liegt der Knackpunkt nicht bei den Drogen, sondern im gesellschaftlichen Umgang mit Rauschmitteln und Drogensüchtigen. Gründe der gestiegenen Anzahl der Drogentoten in Deutschland seien gesellschaftliche Ausgrenzung und Kriminalisierung der Süchtigen: „Drogentote sind Prohibitionstote.“ Opfer gäbe es, solange die Süchtigen auf verschnittenen Stoff angewiesen sind und in unsauberen hygienischen Verhältnissen leben müssen.

Die einzige Lösung sei, reines Heroin ärztlich verschreiben zu lassen, damit die Begleitumstände des illegalen Konsums auf der Straße verschwänden. Zur Zeit enthalte ein Schuss mit der Spritze höchstens 15 Prozent Heroin, der Rest seien zerstampfte Tabletten als Streckmittel. Die ärztliche Verschreibung müsse zudem unabhängig von dem Nachweis über Schwerstabhängigkeit erfolgen, so Schneider.

Der Ansieg der Drogentoten sei auch eine Folge der Reformstaus der vorhergehenden Regierung, erklärt die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, die Grüne Christa Nickels. „Wir haben jetzt einen Gesetzentwurf zur Klarstellung der Drogenräume und Notfallintervention auf den Weg gebracht.“ Das Gesetz soll noch im Februar verabschiedet werden.