Kroatien votiert für Europa

Sozialliberales Parteienbündnis erzielt Erdrutschsieg. Die seit neun Jahren regierende HDZ des vor kurzem verstorbenen Tudjman am Boden zerstört ■ Aus Zagreb Erich Rathfelder

Die Parteigänger der alten Regierung Kroatiens sind am Boden zerstört. Die Opposition hat bei den Parlamentswahlen vom Montag einen Erdrutschsieg erzielt. Vor allem das Parteienbündnis aus Sozialdemokraten und Liberalen ( SDP/HSLS) hat die Erwartungen übertroffen. Mit über 40 Prozent der Stimmen wurde das Bündnis zum unbestrittenen Wahlsieger.

Schon als in der Nacht zum Dienstag die ersten Zwischenergebnisse verkündet wurden, bordete die Freude bei den Wahlsiegern über. Der 55jährige Ivica Račan, Kandidat für das Amt des Premierministers, erklärte unter dem Jubel seiner Anhänger in der Parteizentrale der SDP, die Ergebnisse überträfen die Prognosen bei weitem. In der Tat: 51 Prozent der Stimmen in Zagreb, über 42 Prozent im Umland, insgesamt mehr als 40 Prozent im gesamten Land – das war bei einer Wahlbeteiligung von recht hohen 76 Prozent von niemandem erwartet worden. Dass die Sozialliberalen sogar in der Region um Knin, also in den ehemals zwischen Serben und Kroaten umkämpften Gebieten, knapp vor der HDZ liegen, ist eine der großen Überraschungen. Lediglich in der Region um Vukovar in Ostslawonien liegt die bisherige Regierungspartei HDZ mit 32 Prozent noch vor den Sozialliberalen.

So dürfte nach dem Jahrzehnt der Herrschaft der HDZ und der Ära Tudjman ausgerechnet der letzte Vorsitzende des Bundes der Kommunisten Kroatiens, Ivica Račan, zum neuen starken Mann in Kroatien werden. Zwar hatte Ivica Račan 1989 erstmals freie Wahlen durchführen lassen. Auch gilt er weiterhin als Liberaler. Dennoch ist es verwunderlich, dass die Mehrheit der Bevölkerung gerade in ihm und in der vom Kommunismus zur Sozialdemokratie gewendeten SDP die Hoffnungsträger für eine kapitalistische Wirtschaftsreform und die Demokratisierung der Gesellschaft sieht. In den letzten Jahren sind neue Leute in die Partei eingetreten, sie haben die SDP vom Stallgeruch der Arbeiterpartei befreit. Gleichzeitig ist unvergessen, dass sich ein großer Teil des Apparates 1989 entschlossen hatte, in die HDZ überzuwechseln.

Chancen auf die Präsidentschaft hat Drazen Budisa

Die Sozialdemokraten sind in ihrer Wahlkampagne dafür eingetreten, europäische Standards in Kroatien durchzusetzen. Dies gilt nicht nur für die Pressefreiheit, sondern auch für die Menschenrechte und die Behandlung von Minderheiten. Deshalb sehen auch viele kroatische Serben in Račan einen Hoffnungsträger, auch wenn nur wenige von ihnen sich an den Wahlen beteiligten. Dass die jugoslawische Führung in Belgrad den serbischen Flüchtlingen aus Kroatien eine Nichtbeteiligung empfahl, hat auch die in Kroatien lebenden Serben beeinflusst. Indirekt hat Slobodan Milošević damit die HDZ unterstützt.

Auch der zweite Wahlblock der Opposition, der aus Zentrumsparteien und Regionalparteien besteht, hat mit rund 13 Prozent der Stimmen gut abgeschnitten. In Istrien erreichte das Bündnis mit 31 Prozent der Stimmen den zweiten Platz nach der SDP (41), die HDZ konnte hier lediglich 14 Prozent der Stimmen gewinnen. Auch wenn es in der führenden Partei des Bündnisses, der Bauernpartei, Stimmen gibt, ein Regierungsbündnis mit der HDZ zu bilden, so handelt es sich dabei doch um eine kleine Minderheit. Das Parteienbündnis der Mitte wird sich einer Koalition mit den Sozialliberalen anschließen. Die Verhandlungen dazu haben gestern begonnen.

Noch gestern war unklar, ob beide Oppositionsblöcke zusammen die für eine Änderung der Verfassung notwendige Zweidrittelmehrheit erreichen werden. Beide Gruppierungen wollen nach den Wahlen die Macht des Präsidenten beschneiden und das Parlament stärken. Zünglein an der Waage könnten die 350.000 Exilkroaten sein. Vor allem die mehr als 200.000 Kroaten aus Bosnien, die mit ihrer doppelten Staatsbürgerschaft an den Wahlen teilnehmen durften, sind mehrheitlich Anhänger der HDZ.

Auf diesen Effekt hoffen die Anhänger der HDZ. Als sich die Funktionäre in der Nacht zum Dienstag in der Parteizentrale versammelten, drückten sie noch die Erwartung aus, die Wähler würden die Wahlprognosen widerlegen. Doch bald gab es lange Gesichter. Vor allem der Vorsitzende der Parlamentsfraktion seiner Partei, der ehemalige Richter Vladimir Šeks, der sich selbst zum Präsidentschaftskandidaten erkoren hatte, war bitter enttäuscht. Mit den schlechten Ergebnissen von insgesamt 23 bis 25 Prozent schwinden seine Hoffnungen, noch in das Rennen um die Präsidentschaft gehen zu können. Der Mann des Apparats hat aber keine Chance, am 24 Januar gegen den Kandidaten der Opposition, den Liberalen Dražen Budiša, zu gewinnen.

Das einzige Gesicht, das sich zu einem Lächeln durchringen konnte, war denn auch jenes des bisherigen Außenministers Mate Granić. Der weit über seine Partei hinaus akzeptierte Politiker erklärte, nun zweifele er nicht mehr daran, dass er als Präsidentschaftskandidat der HDZ antreten werde. Sein Ziel sei es, eine Kohabitation zu erreichen, er könne als Präsident mit der aktuellen Parlamentsmehrheit leben. Die Hoffnung allerdings, Granić werde die Ansprüche der „Kriegsgewinnler“ und der Korruption verdächtigten Politiker in seiner Partei bedienen, als Präsident also seine schützende Hand über sie halten, wird dieser nach Informationen aus seiner Umgebung enttäuschen.

Viele Privilegien sind zu verlieren. Mancher, der sich guter Kontakte nach oben rühmen konnte, wird wieder von vorne anfangen müssen. Die Geschäftspraktiken jener, die über eine bestimmte Art der Privatisierung zu Kapital und Reichtum gelangten, werden sich Prüfungen stellen müssen. Schon munkelt man, manche der Kriegsverbrechen Verdächtigen hätten das Land bereits verlassen. Ein Freund Tudjmans will auch gehen: Fußballnationaltrainer Miroslav Balašević denkt über einen Rücktritt nach.