Videodrome fürs Videodrom

■ Ende November wurde die Berliner Cineasten-Videothek Videodrom geschlossen. Das Metropolis veranstaltet einen „jugend- und volksgefährdenden“ Benefiz-Abend

Seit seinen Kindertagen wird das Kino von Untoten und anderen Wiedergängern bevölkert. Und genauso zombiehaft kehren mit ihnen jene Moralwächter immer wieder ans Licht der Öffentlichkeit zurück, die mit den bewegten Bildern zugleich den Untergang des Abendlandes, die Verrohung der Sitten und das Verderben der Jugend sowieso nahen sehen. Die Zensurgeschichte des Kinos in Deutschland ist lang, kompliziert – und kurios, bedenkt man, dass in den 60er Jahren selbst James-Bond-Romane von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften indiziert wurden. So haltlos eine Medienwirkungsdiskussion auch ist, die in jedem dahergelaufenen Serienkiller den Videojunkie aufspürt, erlebt sie indes gerade seit dem kürzlichen Verschwinden von Mrs. Tingle wieder eine äußerst unschöne Renaissance.

Gar nichts mehr zu lachen hatten die Betreiber der Berliner Cineas-ten-Videothek Videodrom Ende November. In aller Herrgottsfrühe standen sie unangemeldet in den Geschäftsräumen und Privatwohnungen der Betreiber, als gelte es, eine Kinderporno-Klitsche auszuheben: Vertreter der Kripo, Staatsanwaltschaft, Sittenpolizei und des Wirtschaftsamts Kreuzberg, verstärkt von rund 50 uniformierten Beamten. Auf Anzeige eines westdeutschen Anwalts wegen Verbreitung jugendgefährdender Schriften hin beschlagnahmten die cineas-tisch nicht sonderlich bewanderten Ordnungshüter 666 Äsic!Ü Videos, DVDs und Laserdiscs. Unter ihnen: David Lynchs Wild at Heart, Takeshi Kitanos Violent Cop, Schlingensiefs 100 Jahre Adolf Hitler, Werke von Fassbinder, Kustorica, Kubrick und Luc Besson sowie die TV-Serie Holocaust. Das Videodrom verstößt natürlich gegen keines der hierzulande geltenden Gesetzte: Sowohl von der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft ab 18 freigegebene wie von der Bundesprüfstelle indizierte Videos (die allein mit einem Werbeverbot belegt sind) dürfen an Volljährige abgegeben werden.

Derartige Videos finden sich tatsächlich in den Räumen des Videodroms, ist die nämlich auf englischsprachige Originalfassungen, Autorenreihen, SchwulLesbisches, Kultserien, Exploitation, Asiatisches und allerlei Obskures spezialisierte Videothek ein Mekka für Filmkritiker, -freunde und schaffende aus der ganzen Republik. Die Solidaritätsadressen lesen sich deshalb auch wie ein Who's Who der deutschen Kulturszene: Filmschaffende wie Tom Tykwer, Franka Potente, Detlev Buck, Dany Levy, Wolfgang Becker, Musiker wie Die Ärzte, Alec Empire oder Jazzanova. Bis Mitte Dezember blieb das Videodrom geschlossen. Sämtliche Computer sind bis heute beschlagnahmt, der wirtschaftliche Schaden beläuft sich bisher auf rund 100.000 Mark. Juristisch ist zu erwarten, dass die Staatsanwaltschaft einen Bezug zwischen den in Privaträumen sichergestellten, strafrechtlich verbotenen Filmen wie Texas Chainsaw Massacre (die man zwar besitzen, aber nicht vertreiben darf) und den kommerziellen Aktivitäten der Nischenkultur-Betreiber herstellen wird. Die Klärung vor Gericht dürfte teuer werden, weil eine Entscheidung frühestens in zwei Jahren erwartet wird. Dann könnte das Videodrom bereits der Vergangenheit angehören.

Tobias Nagl

Videodrome + The Texas Chainsaw Massacre: Fr, 7. Januar, 21.15 Uhr, Metropolis