„Wir sind den Tieren verpflichtet“

Das Tierheim hat das unscheinbare Lankwitz bekannt gemacht. Bald schon aber soll das Zuhause für herrenlose Tiere nach Hohenschönhausen. Die zahlreichen Spenden, auch aus dem Osten, haben es möglich gemacht ■ Von Annette Rollmann

Der Gestank beherrscht die Sinne. Betäubt sie. Aus dem Gebäude schwillt ein Mix aus Pisse, Hundescheiße, Futter und Angst. Tierischer Angst. Über dem Türstock steht in Schreibschrift „Struppi-Haus“. Eine falsche Ankündigung für das Leben, das dort im Käfig und auf dem Betonboden hin und her tobt.

Manche bellen. Andere kläffen. Sie warten, dass sie aus dem Tierheim Lankwitz abgeholt werden. Es eint sie das Schicksal: Sie wurden verlassen.

„Ick glaub, det is er. Na, meine Süße.“ Inniglich streichelt der junge Mann in Raverklamotten über den Rücken des kurzhaarigen Tieres, einem Staffordmix: „Na, is det schön?“ Die Hündin wedelt mit dem Schwanz. Dann schmiegt sie sich an den Mann im coolen Outfit. Der Szenehopper schließt für einen kurzen Moment die Augen. Ein Kuß auf die Hundeschnauze. Liebe in Zeiten der Einsamkeit? „Ich bin tagsüber zu oft allein“, wird er später sagen, als er nach Erledigung der Formalitäten, nebst eingehender Befragung über seine Lebensumstände mit der Hündin freudig in Richtung Bushaltestelle geht. Für einen „Hunni“ ist es nun seine.

Glück gehabt, könnte sich die Hündin mit dem Tierheimnamen Meldoy denken. Denn hinter sich lässt der Stafford mehrere Wochen Heim und ein Hundeleben ohne Spaziergang. In Lankwitz „sitzen“ momentan rund 230 Hunde ein, 175 Katzen, nebst Kaninchen, Vögeln, Ratten und Frettchen. „Jede Sorte Tier, mit der sich der Berliner umgibt, gibt es auch bei uns“, erzählt Sprecherin Carola Ruff. Wie jedes Jahr nach Weihnachten ist das Tierheim gut belegt. Die kleinen Süßen, die noch an Heiligabend auf dem Gabentisch für freudiges Kindergejauchze sorgten, sind schon wenige Tage später Anlass für Zwist. „Viele Menschen haben nicht die Zeit, sich richtig um einen Hund zu kümmern“, sagt Ruff. Wenn jemand den ganzen Tag berufstätig ist, bekommt er erst gar keinen Hund aus dem Tierheim. Ruff: „Wir sind den Tieren verpflichtet.“

Das Tierheim Lankwitz gibt es seit über hundert Jahren. Es ist das einzige in Berlin. Bis zum Zweiten Weltkrieg diente es lediglich als Tiersammelstelle. Später, nach der Teilung der Stadt, wurde es zusätzlich als Tierheim genutzt. Seit der Wende ist Ostberlin hinzugekommen. Seitdem ist Lankwitz ständig überfüllt. Denn die Berliner schaffen sich gerne Tiere an. In der Hauptstadt leben mehr Hunde als in Hamburg, Köln und München zusammen. Jedes Jahr werden in Lankwitz rund 22.000 Tiere durchgeschleust. Einige bleiben nur zwei und drei Tage, andere warten drei Jahre, bis sie vermittelt werden.

Das soll anders werden. Im Herbst wird das Tierheim, dessen Träger der Tierschutzverein für Berlin ist, in seinen 40 Millionen Mark teuren Neubau in Hohenschönhausen ziehen. Das Grundstück von 160.000 Quadratmetern hat 6 Millionen Mark gekostet. Es ist zehnmal größer als das alte Gelände. „In Hohenschönhausen werden sich die Tiere besser präsentieren können und leichter vermittelbar sein“, hofft Ruff. Dort werden sie in Freigehegen gehalten und haben Auslauf. „Die Hunde werden nicht mehr so bellen.“

Das Tierheim finanziert sich aus Mitgliedsbeiträgen des Tierschutzvereins. Doch das ist nur der kleinste Teil. Der größte Anteil kommt aus Spenden und Erbschaften. „Wir haben einige Grundstücke in Ostdeutschland geerbt, an die wir erst nach der Wende rangekommen sind“, erzählt Ruff. Den Menschen in der DDR sei der Name Tierschutzverein für Berlin noch aus den Zeiten vor der Teilung geläufig gewesen. Trotz Mauer haben sie ihr Erbe dem Tierschutzverein vermacht. Davon habe sich das Tierheim das Grundstück und den Neubau leisten können.

Allerdings seien die Rücklagen nun aufgebraucht, fügt Ruff an. Kein Verein, der auf Spenden angewiesen ist, will schließlich in knappen Zeiten als wohlhabend dastehen. Zudem seien es meist keine großen Erbschaften. „Es sind viel eher die kleinen Leute, die uns etwas vermachen.“ Schließlich, so rechnet Ruff vor, verbrauche das Tierheim täglich 15.000 Mark. „Die müssen wir ja irgendwoher bekommen“, sagt sie mit treuherzigem Blick und erweckt dabei nicht den Eindruck, dass der Tierschutzverein fürchterlich darbt. Und gerne erzählt sie dann auch, dass Erben ja nicht nur schön ist, und berichtet von Häusern in der Boxhagener Straße in Friedrichshain, die der Tierschutzverein geerbt habe, die aber nun niemand kaufen wolle. Ärgerlich fügt sie an: „Jetzt haben wir auch noch gemerkt, dass jemand dort Strom abgezwackt hat und auf unsere Kosten einen Imbiss betrieben hat.“

Aber überhaupt: Der Verdruss über die Berliner Politiker ist groß. Und so werden im Augustheft 1999 auf dem Titelbild des Berliner Tierfreundes bekannte Größen der Stadt wie Klaus Böger (SPD) und Wolfgang Branoner (CDU) mit der Schlagzeile angeprangert: Kein Geld vom Lotto für den Tierheim-Neubau.

Die Ignoranz der Politik regt Ruff noch jetzt maßlos auf. Denn überall anders sei es nun mal üblich, überschüssige Gelder aus der staatlichen Klassenlotterie auch ans Tierheim zu geben. Nur in Berlin eben nicht. Typisch. Denn hier herrsche ohnehin ein ganz sonderbares Klima. Gebe es in München den Viecherl-Ball, wo sich die Prominenz im Bayerischen Hof einmal jährlich regelrecht drängeln würde, hätte das Tierheim Lankwitz Probleme, einen Fototermin mit einem Prominenten zu Stande zu bringen. „Gesundheitssenatorin Hübner war in ihrer Amtszeit nicht einmal in Lankwitz“, beklagt sich Ruff über mangelnde Aufmerksamkeit.

Die Bevölkerung hingegen ist da natürlich ganz anders. Und so pilgern an einem beliebigen Wochentag Alte und Junge ins Tierheim, so wie manche Menschen am Sonntag in den Zoo. Einige gehen mit einem „Viech“, einer Ratte, Katze oder eben einem Hund wieder nach Hause. Nur wer einen „Kampfhund“ mitnehmen will, dem wird vorher noch der Tierschutzinspektor ins Haus geschickt. „Da wird geschaut, ob an der Wohnungstür keine rote Laterne hängt und der Freund der Freundin keine Rolex trägt.“

Hunde sollten wie Menschen gut erzogen werden und in sozial verträglicher Umgebung leben. Für besonders schwere Hundefälle gibt es ein Resozialisierungsprogramm. Eine Tierpflegerin nimmt bissige Hunde auf und trainiert sie so lange, bis „sie wieder in der Bahn sind“. Zwischen zwei Tagen und einem Jahr.