Ein anarchistischer Büffel namens Wicki

Schauspieler und Regisseur Bernhard Wicki starb gestern 80-jährig in München

Kürzlich war er noch einmal im TV zu sehen, in einem Unterhaltungsklassiker: In Helmut Käutners „Die Zürcher Verlobung“ spielte er einen chronisch schlecht gelaunten Regisseur, der Liselotte Pulver liebt, es ihr aber nicht zeigen kann. Die Pulver, die es eigentlich auf Paul Hubschmid abgesehen hat, nennt den uncharmanten Grantler nur „Büffel“. Am Ende kriegen sich beide. Zuvor musste die Pulver lernen, dass hinter der unnahbaren Maske, der aggressiven Ausstrahlung nur die Angst steckt, sich in Gefühlen zu verlieren. Als sie ihre Furcht vor ihm abgelegt hatte, war beider Weg zur Liebe geebnet.

Das Publikum, in erster Linie das weibliche, liebte diesen muffeligen Mann: Bernhard Wicki war ein Kerl, ohne grobschlächtig zu wirken; ein Mann mit Kanten, ohne sie durch ziselierte, gentlemanhafte Posen abzumildern. Berühmt wurde der gebürtige Österreicher für Kritiker aber nicht durch solche Produktionen. Viel eher schon durch seine Regiearbeit für den Film „Die Brücke“, eine für die damalige Zeit brutale und naturalistische Auseinandersetzung mit dem Krieg, mit dem Terror der Nazis, mit dem Führerglauben und der Enttäuschung über schlechte Führung. Geschildert wird das Schicksal einer Gruppe von Schülern, die während der letzten Kriegstage enthusiastisch versucht, eine Brücke zu bewachen, um den Einmarsch der Alliierten zu verhindern. Wicki scheute sich nie, den Tod seiner Protagonistinnen zu zeigen, nah, fleischlich, unromantisch.

Kein Thema war Wicki wichtiger als die Auseinandersetzung mit dem totalitären Regime, mit der Genese des Nationalsozialistischen und des braunen Glaubens. Der Sohn eines Schweizer Ingenieurs und einer Österreicherin verbrachte seine Schulzeit in Köthen bei Halle, wurde von seinen Eltern in seinen musischen Interessen gefördert. 1938 wurde er an der Schauspielschule von Gustaf Gründgens in Berlin ausgebildet, am Tag der „Reichskristallnacht“ aber verhaftet und für mehrere Monate in ein Konzentrationslager gesperrt. Der Grund der Arretierung blieb immer ein wenig im Dunkeln. Wicki, einst Mitglied der Kommunistischen Jugend und Schüler der Jugendmalklasse am Dessauer Bauhaus, sprach darüber nur ungern. In den Fünfzigerjahren war es in der Bundesrepublik nicht opportun, sich als Opfer des NS-Regimes zu bekennen.

„Die Brücke“ eröffnete Wicki internationale Möglichkeiten. Er arbeitete mit fast allen Berühmtheiten (auch Hollywoods) zusammen, mit Ingrid Bergman, Anthony Quinn, Senta Berger, Klaus Maria Brandauer . . . Beliebt war der „Bär“ (freundlicher Spitzname seitens vieler seiner Geliebten) in der Branche nicht durchweg, allzu akribisch versuchte er seine Arbeit zu kontrollieren.

Seine letzte große Regiearbeit, 1989 „Das Spinnennetz“ nach einem Roman von Joseph Roth, fiel bei der Kritik durch: Allzu drakonisch alarmierte da einer vor neonazistischen Gedanken und Zeitströmungen. Im Gespräch mit Wolf Donner meinte Wicki: „Bevor Hitler an die Macht kam, ist das Entscheidende passiert.“ Einen solchen Satz mochte damals zu Vor-Wendezeiten niemand gern hören. Bernhard Wicki starb gestern, gut zwei Monate nach seinem achtzigsten Geburtstag, in München. Jan Feddersen