■ Der Liter Benzin kostet seit dem Jahreswechsel mehr als zwei Mark – und schon geraten Opposition und „Bild“-Zeitung einhellig in Rage. Mit Verfassungsklagen soll die Ökosteuer wieder gekippt werden. FDP und CDU wollen mit Sprit-Aktionen von ihrem desolaten Zustand ablenken. Sie haben gute Chancen – geht es doch um der Deutschen liebsten Saft
: Kröten im Zapfhahn

In schlechten Zeiten und armen Ländern waren es Brot- oder Reispreise, welche die Massen zum Aufstand gegen die Obrigkeit getrieben haben. In den modernen Industrieländern ist die Wut nicht mehr so leicht zu entfachen. Jeder hat mit sich selbst zu tun und seine ganz persönlichen Sorgen.

Ein paar Ausnahmen gibt es trotzdem noch. Briten echauffieren sich über Menschen- oder Tierrechte, Franzosen über den angeblichen US-amerikanischen Kulturimperialismus. Der Mehrheits-Deutsche hingegen richtet sein Engagement mehr am Benzinpreis und seinem Schnauferl auf. Derzeit herrscht wieder große Aufregung im Land. Nicht weil das Auto etwa verboten werden soll. Vielmehr wurde die Schallmauer „2,00 D-Mark pro Liter“ durchbrochen. Für zwei Mark muss ein Geringverdiener zehn Minuten arbeiten, ein Konzernvorstand vielleicht zehn Sekunden. Lohnt dafür der Aufstand?

Diese Frage wird natürlich nicht dem Einzelnen überlassen, dafür gibt es feinsinnige Sensoren in der deutschen Öffentlichkeit. Sie reichen von der Bild-Zeitung oder den Boulevard-Magazinen der Fernsehsender à la Sat.1-„Blitz“ bis zur politischen Opposition, vor allem, wenn sie CDU oder FDP heißt. Sie alle kultivieren die öffentliche Aufregung bei jeder sich bietenden Gelegenheit.

Seit dem rot-grünen Amtsantritt rollt immer wieder die Wut-Welle zur Ökosteuer durch die Medien. Zweimal je sieben Pfennige pro Liter macht letztere aus – viel weniger als die Schwankungen des Ölpreises auf dem Weltmarkt. Seit Amtsantritt der neuen Bundesregierung mag der Literpreis um eine halbe Mark gestiegen sein – der Löwenanteil davon geht jedoch auf Kosten von Konzern- und Scheichprofiten.

Damit fing die Bild-Zeitung ihre Welle auch an. „Benzin-Banditos“, ging es vor Silvester gegen die Konzerne, weil sie angesichts der höheren Tankstellen-Umsätze kurz vor der Ökosteuer-Erhöhung den Liter noch schnell vier Pfennig teurer machten. Am 3. Januar dann schon „Öko-Steuer treibt Benzinpreise hoch“. Und die ebenfalls bei Springer verlegte Berliner B. Z. zur Autofahrerwut: „Die haben ’nen Kopfschuss!“

Die B. Z. verteilte sogar Aufkleber für ihre Mitfahr-Leseraktion „Ich nehm’ dich mit!“ In den letzten beiden Tagen schließlich wird nach den Buhmännern jetzt der Held präsentiert. „Kippt er die Öko-Steuer?“ fragt Bild zum Gutachten eines Bonner Professors, der für einen Spediteursverband die Verfassungsmäßigkeit der Steuer bezweifelte. Und gestern auch schon angedeutetes Einknicken der angegriffenen Politiker: „Alternativen“ zur Steuerreform müssten „intensiv geprüft“ weden, zitiert Bild einen ihr zugespielten internen Brief des Finanzministeriums. Das ist Druck von unten!

Bei einer solcherart sensibilisierten Öffentlichkeit versuchen denn auch regelmäßig CDU und FDP, ihr Wahlsüppchen mit der Autoliebe zu kochen. Schon 1989 sah etwa ein Berliner CDU-Abgeordneter die Spreestädter zu „Gefangenen ihrer Wohnung“ gemacht, weil eine überlastete Straße am Havelstrand gesperrt werden sollte. Und schon damals wurden in aller Eile 100.000 Unterschriften gegen ein Tempolimit auf der Avus von CDU-nahen Vereinen gesammelt. Die amtierende rot-grüne Regierung wurde übrigens abgewählt.

Heute nun wieder das gleiche Bild. Die FDP bietet in Berlin Sprit zum steuerfreien Preis an (siehe Text unten) – obwohl auch die CDU-FDP-Regierung die Mineralölsteuer drastisch erhöht hatte.

Die CDU versucht sich mit Hilfe des Spritpreises gar aus dem Stimmungstief durch die Kohl-Geldwäschereien zu hieven: CDU-Generalsekretärin Angela Merkel und der Spitzenkandidat für die Landtagswahl in Schleswig-Holstein, Volker Rühe, wollen morgen eine Aktion gegen die „unerträgliche Belastung“ durch die Öko-Steuer starten. Und im nächsten Monat dann die Kampagne, dass es in Deutschland nicht vorangeht? Mal sehen, was die Wähler alles schlucken.

Reiner Metzger