Freiheit den Flammenwerfern

■ Die Hochschule für Künste beginnt heute eine Serie von vier Kurzausstellungen mit Arbeiten von AbsolventInnen

Die letzten Geheimnisse sind (fast) enthüllt, quantenmechanisch, geografisch, und so; bleibt noch ein letztes Stück Hoffnung auf Geheimnis Mitmensch, obwohl sie enttäuscht wird, Tag für Tag. Deshalb gucken Menschen Bärbel Schäfer, Thema „Wie ich meinen letzten Pickel ausdrückte“, und setzen Kontaktanzeigen ins MIX „zwecks Kennenlernen“.

Oliver Voigt-Wendelstein hat da ganz andere Möglichkeiten, sich in die Herzen Fremder hineinzuwühlen wie eine Made in Evas Apfel der Erbsünde, die da heißt Wissenwollen. Schließlich ist er Künstler. Quatschte also KünstlerInnen, Museumskuratoren (da gibt's kaum feministisches I) und Kunstrezensenten aus Bremen an und bat um ein intimes Abendessen, nur so, im Dienste seiner Diplomarbeit.

Was Oliver Voigt-Wendelstein davon hatte: 99 (meist) schöne Abende, Ausbauen der eigenen Kochkünste, entsprechend gutes Essen (“Gutes Leben ist Kunst“), alptraumhohe Unkosten für den Kochrezept-Foto-Katalog (“Das Extreme ist Kunst“), spannende Gespräche über Kunst oder/und das Leben, die seinen geistigen Horizont dehnten und manchmal zum Wetterleuchten brachten (“Extrem Gutes ist Kunst“). Was für den Kunstrezipienten davon abfällt und übrigbleibt: Eine Porträtgalerie mit 99 Köpfen, im Stil Thomas Struths relativ neutral, frontal, hintergrunds- und requisitenfrei; die Oberkörper nackt, wovon aber dem Betrachter wiederum nur die Schultern gegönnt werden. Und in die Stirn eingeschrieben ist ein Wort, welches das Substrat des Gesprächs, das sich bisweilen bis um vier Uhr morgens hinzog, bildet.

Aber lassen sich Künstler heute noch auf ein Wort bringen? Und sind Substrate aus einem einzigen Atom möglich? Selbst die Homöopathie braucht immer die Beimischung, auch wenn sie noch so klein ist. Das alles weiß Voigt-Wendelstein. Natürlich. Seine Arbeit thematisiert also die Differenz zwischen Kunst beim Künstler und Kunst beim Rezipienten. Und sie baut darauf, das die dazwischen klaffende Lücke produktiv sein kann. Nichtwissen regt an. Der Bremer Kunstszene-Insider kann das jeweilige Kopfwort mit der Person vergleichen – und lacht, wenn der Hochschule für Künste-Chef und Goldklunkerträger Waller der Begriff „Kohle“ zugeordnet wird; oder wenn Kunsthallenchef und passionierter Fliegenträger Wulf Herzogenrath statt eines Worts eine Fliege auf die Stirn bekommt. Wer die Bremer Kunstszene nicht kennt, dem bleibt nur das Mit- und Gegeneinander zwischen Kopf und Wort: Ein sparkassiges Gesicht trägt „Beat“, ein distanzierter Von-oben-Blick das Wort „Nah“ etc. In seiner nächsten Arbeit wird Voigt-Wendelstein den Rezipienten näher ran lassen. Da gibt's hochgeistige Getränke statt Spaghetti, und anstelle eines einsamen Worts gedehnten betrunkenen O-Ton mit dem entspannteren Raum- und Zeitgefühl der dem Landvolk (hoffentlich noch) eigen ist, da, wo Voigt-Wendelstein wohnt und arbeitet, seit elf Jahren, als Kunsttherapeut im Landeskrankenhaus für straffällige Drogies in einem Kaff namens Bräue.

Voigt-Wendelstein surft zwischen den Gattungen. Er illustriert in Baconscher Manier Bücher von Michael Wildenhain oder untersucht via CD-ROM die schmerzhaften Einschreibungen der Gesellschaft in den eigenen Körper inklusive Schwanz, immer schön theoriefundiert, Foucault, Barbara Duden, Sloterdijk und so. Und auch Tobias Lange vagabundiert von Idee zu Idee, Material zu Material. Von einer Flammenwerfer-Aktion mit der (zumindest in Berlin und Hannover) superlegendären, mittlerweilezehn Jahre alt gewordenen Maschinen-Performancegruppe BBM, schwappte es ihn treibgutartig zu entflammbaren Obstkisten. Die tragen magische Frucht-Firmennamen wie „Primafel“, „Goldi“, „Ruleta“. Mittlerweile baut er wie ein großgewordener LEGO-Fan Dinge. Zum Beispiel eine Andachts-Kapelle. Sie heißt melancholisch „Kirche der gebrochenen Versprechungen“ und birgt als Herzstück ein Flammenvideo. Billigstes und up-to-date-Technik treffen sich. Und manchmal, etwa auf Reisen durchs verquer kapitalisierte Polen, kann man dieser Welt der Widersprüche nur noch durch eine Mischung aus Pathos und Zynismus ertragen. So entstehen dann Ausstellungstitel wie: „Flame of liberty kills the children of the revolution“. Die Freiheit der schönen, hellen Flammenwerfer. bk

Die Vernissage mit den Arbeiten von Tobias Lange und Oliver Voigt-Wendelstein ist heute um 20 Uhr in der HfK, Dechanatsstr. 13