Nasser Schwamm oder rote Rose

■ Die Theatergruppe „Inflagranti“ stellte sich im Schnürschuh einem bewaffneten Publikum

„Das wäre doch mal eine hübsche Idee für ein Rendezvous“, sagt meine Begleitung zu mir, als eine Dame vor Beginn der Vorstellung der Theatersportgruppe „Inflagranti“ im Schnürschuhtheater rote Rosen und nasse Schwämme verkauft: fünfzig Pfennig das Stück, drei Stück eine Mark. Was damit zu geschehen hat, scheint klar: das Zeug soll mit Schmackes Richtung Bühne gepfeffert werden, Spontex und Schnittblumen als Substitute für den Daumen des Imperators. Und ansonsten eine herkömmliche Inszenierung? Mitnichten.

Aber anstatt vorzugreifen, stelle ich mich lieber doof; das ist erzähltechnisch viel klüger – und wer genau hinschaut, kann auch aus dem Spiel der Inflagrantisten eine Menge Erzähltechnik herauslesen, denn nur die Balance zwischen Absurdität und einer runden Geschichte garantiert gute Pointen. Also, ich kauf' mir zwei Rosen und drei Schwämme (Ha! Ganz der vorsichtige Kritiker!) und harre der Dinge, die da kommen mögen. Zuerst kommt eine Cordula Stratmann-Imitatorin (Andrea Asche). Sie übernimmt die Moderation, testet die Stimmung im Publikum und erklärt mit nonchalanter Holprigkeit die Spielregeln, was sich ungefähr so anhört: „—öh ... also ... die machen da jetzt Improvisation, das heißt, die haben nix gelernt ... oder so ...“.

„Die“, das sind die beiden Teams, die sich am Bühnenrand gegenübersitzen, heute bestehend aus Daniela Schlemm, Gunter Lösel, Pablo Keller (rotes Team) sowie Tinka Klindtwort, Boris Radivoj und Moritz Berg (grünes Team). Und dass die nix gelernt haben, ist schlicht gelogen. Acht der zehn Ensemblemitglieder arbeiten hauptberuflich als Schauspieler, geben sogar Volkshochschulkurse, um auch anderen Leuten dieses „Nix“ beizubringen. Dass heute nur sieben von ihnen auf der Bühne stehen, hat mit der Abmachung zu tun, da eine/r immer Munition ans Publikum verscherbeln muss und eine/r stets Lightjockey zu sein hat. Und manchmal hat auch jemand schlicht keine Zeit.

Gut, ein Team begibt sich für das erste Spiel in die Bühnenmitte. Jetzt ist das Publikum gefragt. Stichworte sollen vorgegeben werden, grober Rahmen für die folgenden Improvisationen. Welcher Kategorie die Begriffe angehören sollen, entscheiden die Theatersportler selbst. „Wir brauchen einen Beruf!“ – „Ach, ich dachte, ihr seid Schauspieler?“ flaxt es im Inneren des Beobachters. Lustigkeit ist ansteckend – je infektiöser, desto lauter der Applaus. Und je lauter der Applaus, desto höher die Punktzahl, die auf Klapptafeln festgehalten wird.

Ob die Rosen und die Schwämme auch noch irgendwie als Plus- bzw. Minuspunkte zählen, ist mir entgangen. Ist wohl auch nicht so wichtig. Jedenfalls macht es Spaß, damit rumzuschmeißen, mit den Schwämmen mehr als mit den Rosen, die fliegen besser. Vorschlag: Vielleicht statt Rosen eingetopfte Primeln ...? Vier Spiele (Sportlerjargon: Disziplinen) pro Halbzeit konnte ich zählen, alle waren verschieden, kein Muster wurde nacheinander von beiden Gruppen gespielt, frische Publikumsvorgaben sorgten für Abwechslung. Ausgedacht hat sich diese Form des Theaters der Kanadier Keith Johnstone, der in Calgary das „Loose Mouse Theater“ gegründet hat.

Die Spiele jetzt im einzelnen zu erklären, ist viel zu kompliziert, das schaut man sich am besten mal selbst an. Nur soviel: es gibt kein Bühnenbild und keine Requisiten, aber dafür jede Menge lustige Stichwörter. Ein Auszug: Krabbenfischer, Pommesbude, Kolbenfresser, Voodoo, Stachelschwein in der Badewanne.

Was da so locker und spielerisch auf der Bühne passiert, verlangt den Mitwirkenden eine Menge Timing, Spontaneität und Kreativität, gelegentlich auch Körpereinsatz, ab. Also eigentlich eine Mischung aus Leibesertüchtigung und Denksport.

Das Publikum honorierte den atemlosen Wettkampf mit einer Geräuschkulisse, die man sonst nur in der Harald Schmidt Show findet, so dass die Athleten noch in die Verlängerung mussten. Ganz im Stil einer Sportkommentatorin gab auch meine Begleiterin ihr Fazit ab: „Ein Krimi! Da sind zwei starke Mannschaften aufeinandergetroffen ... der letzte Satz hat es noch mal richtig spannend gemacht, aber die Grünen haben verdient gewonnen ... eine faire Geste, den Roten die Zugabe zu überlassen, die waren weniger zum Zug gekommen ... obwohl ich glaube, da auch sie das Potential zum Sieg gehabt hätten ... vieles hängt von der Unterstützung der Fans ab ... aber die Wahrheit liegt auf der Bühne. Und die ist immer leer. Und der Schwamm ist immer nass. Ich habe fertig!“ Ich auch. Tim Ingold

„Inflagranti“ spielt jeden ersten Dienstag im Monat um 20 Uhr im Schnürschuhtheater. Karten gibt es unter der Telefon-Nr. 55 54 10