Positiv denken, positiv fragen

■ Berlin ist die Visitenkarte der Deutschen, ergab eine Umfrage im Auftrag des Senats. Das ist nicht weiter verwunderlich, denn nach negativen Assoziationen wie etwa Schmutz wurde kaum gefragt

Der Senat hat es sich schriftlich geben lassen: Berlin ist eine weltoffene und sympathische Stadt, und die Entwicklung zum Regierungssitz wird von der Mehrheit der Deutschen begrüßt.

Da kann die Landesregierung die Aussage der Bonner Oberbürgermeisterin vom Mittwoch getrost in der Pfeife rauchen. Bärbel Dieckmann (SPD) hatte erklärt, dass es „immer noch eine Mehrheit der Deutschen“ gebe, „die nicht für diesen Umzug ist, die sagen, das ist zu teuer und es ist überflüssig“. Denn 2.013 Bundesbürger können nicht irren. Diese wurden von Emnid im Auftrag des Senats Ende vergangenen Jahres nach dem Berlin-Image befragt.

Herausgekommen sind Ergebnisse, die Senatssprecher Michael-Andreas Butz die Brust anschwellen ließen: 77 Prozent der Befragten erklärten, dass die Hauptstadt „die Visitenkarte Deutschlands ist“, 85 Prozent sagten zu dem Umfragepunkt „Gefühlsmäßige Assoziationen“, dass Berlin weltoffen sei, 73 Prozent gaben Sympathie an und 57 Prozent Stolz.

Die negativen Ergebnisse jedoch wollte Butz lieber für sich behalten. Zwar hatte er anfangs „zur Beruhigung kritischer Nachfrager“ erklärt, dass auch nach „negativen Gefühlsmerkmalen“ gefragt wurde. Doch erst auf Drängen der Journalisten rückten er und der Herr von Emnid damit heraus. Danach assoziieren 41 Prozent der Befragten mit Berlin Aggressivität, 29 Prozent Platzangst, 27 Prozent Trauer, 25 Prozent Verlorenheit, 17 Prozent Gleichgültigkeit.

Gänzlich weggelassen wurden Fragen nach der allseits bekannten Berliner Schnoddrigkeit und dem Schmutz in der Stadt. „Zum Thema Schmutz hätten wir sicher 50 Prozent bekommen“, räumte der ehemalige Stadtentwicklungssenator und jetzige Geschäftsführer von Partner für Berlin, Volker Hassemer, ein. Das rief sofort Senatssprecher Butz auf den Plan, der erklärte: „Schmutz nimmt man nicht so wahr wie jemand, der sein Leben hier verbringt“, und erneut auf die Rekordmarke zur Weltoffenheit verwies.

Um das herauszufinden hätte sich der Senat die nicht bezifferten Kosten für die Umfrage sparen können. Denn sowohl die Berliner Polizei als auch die Feuerwehr werben seit geraumer Zeit mit dem Slogan „Mit Sicherheit weltoffen“. Und der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) erklärte bereits vor einem Jahr: „Zukunftsorientiert und weltoffen, das ist das neue Berlin.“ Nur leider hat kaum einer diese Worte vernommen. Denn gesprochen hat er sie anläßlich der Verleihung der Unicef/WHO-Plakette „Stillfreundliches Krankenhaus“ an eine Berliner Klinik.

Auch Senatssprecher Butz höchstpersönlich wusste schon im Sommer vergangenen Jahres, was die Nichtberliner erst jetzt erkannt haben: „Berlin ist tolerant, weltoffen, gelassen und abgeklärt.“ Das hatte er drei Tage vor der Love Parade verkündet.

Doch die These der weltoffenen Stadt steht auf äußerst tönernen Füßen. Bündnis 90/Die Grünen schrieben vor zehn Monaten in ihrem Programm zur Abgeordnetenhauswahl: „Nur mit Bündnis 90/Die Grünen wird Berlin eine weltoffene, attraktive und lebenswerte Metropole.“ Bei der Abgeordnetenhauswahl bekamen die Grünen bekanntermaßen gerade einmal 9,9 Prozent.B. Bollwahn de Paez Casanova