Die Sparkasse im Gotteshaus

Im Umland Berlins verfällt eine ganze Kultur protestantischer Kirchen. Der Landeskirche ist nun nichts mehr heilig, sie denkt an Abriss, an Verkauf oder Umnutzung ■ Von Rolf Lautenschläger

In der Leopoldsburger Kirche klingeln die Kassen. Geld wird eingezahlt, dass es jedem Küster warm ums Herz würde. Doch statt Gläubigen sind Gläubiger die Besucher des Chorraumes. Statt eines Pfarrers sprechen Bankangestellte mit ihren Kunden. Und wo einst der Altar stand, dominiert Sicherheitsglas die Szenerie aus Geldautomaten, Anlageservice und Computertechnik.

Im ehemaligen Gotteshaus der brandenburgischen Kleinstadt Milow, westlich von Berlin, logiert seit Mitte Dezember eine Filiale der Sparkasse. Lästerlich findet das niemand, nicht einmal Pfarrer Eckhard Barsch. Der Verkauf der protestantischen Kirche an einen privaten Investor hatte nicht die Auflösung der Gemeinde zur Folge. „Für unsere Gläubigen gibt es noch eine andere Kirche“, erklärt Barsch und lobt die Sanierung des Gebäudes. Aus der 1779 erbauten Kirche, die zur Ruine verkommen und in DDR-Zeiten als Lagerraum genutzt worden war, sei wieder etwas geworden – trotz Zwischendecke und Innenausstattung im Sparkassendesign.

Dass die Kirche im Dorf blieb, ist im Wesentlichen dem Förderkreis „Alte Kirchen“ zu verdanken. Als der Verein, der sich seit 1990 der Rettung brandenburgischer Kirchen widmet, erfahren hatte, dass die Evangelische Kirche in Berlin-Brandenburg samt der örtlichen Gemeinde das Gebäude abreißen und die Fläche als Supermarkt und Autoparkplatz vermarkten wolle, legte er ein Nutzungskonzept vor, das dem Investor behagte. Der baute um und verpachtete an die Sparkasse.

Vom Abriss bedroht oder der Fremdnutzung überlassen ist im Berliner Umland eine ganze Kultur protestantischer Kirchen. Denn die Landeskirche in Berlin-Brandenburg kommt nicht mehr nach, die Vielzahl maroder Gotteshäuser aus dem 17., 18. und 19. Jahrhundert zu retten. Die Finanznot der Kirchen und Gemeinden macht deshalb vor Abrissüberlegungen oder rentablen Verkäufen nicht Halt. Hinzu kommt, dass immer weniger Gläubige in die Kirchen strömen und die Zahl der Pfarrer abnimmt. 435.000 Protestanten zählt heute die Kirche in Brandenburg – circa 20 Prozent weniger als noch vor acht Jahren. Von den insgesamt 1.500 überwiegend denkmalwerten Sakralbauten in der Mark sind derzeit rund 500 stark sanierungsbedürftig, 200 drohen gar zu verfallen. Zwar haben die Landeskirche, die Potsdamer Denkmalbehörde und private Geldgeber in den vergangenen Jahren 500 Millionen Mark für die Sanierung aufgebracht. Auf Grund steigender Defizite und abnehmender Kirchenstreuern von 100 Millionen Mark, erklärt Reinhard Stawinski, Sprecher der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg, hätten aber die „Mittel zurückgefahren“ werden müssen. Hinzu komme, dass Projekte wie die Sanierung des Domes in Brandenburg/Havel allein 80 Millionen Mark verschlingen.

Unbestritten ist, dass sich die Landeskirche für den Erhalt, die Rettung und Sanierung ihrer Gotteshäuser engagiert und den Verkauf oder Abriss als letztes Mittel in Erwägung zieht. Die Kirche bleibe das „Symbol vieler Dörfer und Gemeinden“, sagt Stawinski. „Sie ist ein Zeichen der Würde, schafft Identität für die Gläubigen und Bewohner der Orte.“

Dennoch, räumt Stawinski ein, „lässt sich das nicht in jedem Dorf machen“, zumal wenn es an öffentlichen und privaten Fördermitteln hapert. So sei die Landesregierung in Brandenburg ebenso gefordert, „denn an Kirchen und deren kulturellem Erbe besteht ein öffentliches Interesse“.

Bleiben die Gelder aus, können „Kirchengebäude auch zu einer Last werden“, wie Landesbischof Wolfgang Huber erklärt. In „einigen seltenen Fällen“ werde deshalb der Verkauf einer Kirche erwogen, „weil eine gemeindliche Nutzung nicht mehr oder nur noch in stark eingeschränktem Maße möglich oder nötig ist“. Substanzrettung und weitergehende Nutzung unter der Obhut der Kirche hätten aber in jedem Falle Vorrang. Die Entwidmung als letzte Konsequenz müsse auf ein Mindestmaß beschränkt bleiben.

Dem aktiven Förderkreis „Alte Kirchen“ geht die Absichtserklärung nicht weit genug. Ebenso wie in Mecklenburg-Vorpommern fordert der Förderkreis-Vorsitzende Bernd Janowski von der Landeskirche, in Brandenburg den Abriss- oder Verkaufsstrategien abzuschwören. Der Förderkreis-Chef, der im Dachverband mittlerweile 50 Vereine vertritt, kritisiert: „Die Kirche geht zu leichtfertig mit ihren Gebäuden um.“ Außerdem sei zu beobachten, „dass Verkäufe und kirchenfremde Nutzungen rapide zunehmen“. Die Kirche in Buchholz/Gransee würde nach dem Verkauf als Spekulationsobjekt angeboten, der Kirche bei Liebenthal nördlich der Hauptstadt drohe ein Gleiches.

In einem „Memorandum zur Bewahrung der Dorfkirchen im Land Brandenburg“ riefen im September 1999 der Förderkreis, kirchliche Einrichtungen und Unternehmen die Kirchenoberen und -gemeinden auf, „keine Kirche mehr aufzugeben“. Die Landeskirche müsse „die ererbten Kirchengebäude als Chance begreifen und von Veräußerung und Abriss, auch über die kirchlichen Bedarfspläne hinaus, abzusehen“. Die Kirchen sollten als sakraler, kultureller und vor allem öffentlicher Raum gesichert werden. Zugleich wird die Landesregierung ersucht, weiterhin Mittel für die Erhaltung der denkmalgeschützten Bauten zu sichern.

Während Brandenburgs Denkmalschützer zur Förderung bedrohter Bauwerke oft schwierige behördliche Hürden überwinden müssen, bis Konzepte stehen und Mittel fließen (110 Millionen Mark in den letzten Jahren), arbeiten die Förderkreisvereine „vor Ort flexibler“, sagt Janowski. So wurden Umbau- und Sanierungspläne vorbereitet, Gutachten in Auftrag gegeben und Nutzungskonzepte überlegt: etwa für die Kirche Alt Langsow östlich von Berlin, Dannenwalde im Norden, in Messdunk oder Netzeband, wo die Fördervereine Pläne zur öffentlichen, gemeindlichen und privaten Nutzung mit konzipiert hatten oder haben. Vor dem Abriss gerettet wurde die Kirche in Saaringen – unweit der Ortschaft Milow.

Angesichts der Kritik vieler Vereine, der Denkmalbehörde und privater Initiatoren sowie der Einsicht in die Notwendigkeit kirchlicher Glaubens- und Gemeindearbeit gibt sich auch die Kirchenleitung geläutert. Auf Initiative der EKD wurde eine Stiftung zur Bewahrung kirchlicher Baudenkmäler gegründet. Mit einem Stiftungskapital von 10 Millionen Mark soll sie Anreize für andere potenzielle Geldgeber schaffen. Auch Bischof Huber hat in einer „Orientierungshilfe zur Nutzung von Kirchen für nichtkirchliche Veranstaltungen“ die Devise zu einer Strukturreform gegeben, die den Erhalt durch ein „mehrfunktionales“ Nutzungs- und Raumprogramm sichern soll.

Kirchen, so Huber, seien Orte für den Gottesdienst und das Gebet. Zugleich erfüllen sie noch andere Funktionen „dieser Welt“: als Treffpunkte, Versammlungsorte, Orte für Kunst und Kultur und „als Stätten lebendiger Begegnung“. Dergestalt bieten Kirchen – außer für den Gottesdienst – Räume für Interessenten wie die Kommune, städtische Einrichtungen, soziale Institutionen, Musikgruppen oder private Feste oder Dauernutzungen. Mit einer solchen Strategie hofft Huber für die Renovierung alter Kirchen und Türme gleich mehrer Geldgeber mit ins Boot zu holen: Förderkreise, Kommunen, die Kirchengemeinde sowie private Betreiber.

Während in Berlin die multifunktionale Nutzung als Kulturzentrum und Konzerthalle etwa in der Kreuzberger Heilig-Kreuz-Kirche oder der Passionskirche schon lange praktiziert wird, steht Brandenburg am Beginn einer solchen Entwicklung.

Dennoch ist der Anfang einzigartig: In der Stadtpfarrkirche Müncheberg, 25 Kilometer östlich von Berlin, direkt an der Bundesstraße nach Polen, prangt das Gebäude in saniertem Backsteinrot. Gottesdienste, Sitzungen der Stadtverwaltung, die öffentliche Bibliothek, Lesungen, Partys und Kulturveranstaltungen werden seit 1997 dort abgehalten, wie Pfarrer Jörg Baller über sein „offenes Haus“ erzählt.

Verwaltet wird die Müncheberger Kirche von einer Betreibergesellschaft, in der die Pfarrei (als Eigentümerin), die Stadt und der Förderverein (als Mitnutzer) zusammenarbeiten. Eine Geschäftsführerin koordiniert und organisiert die Veranstaltungen und finanziert aus den anteiligen Einlagen sowie den wirtschaftlichen Erlösen das große Haus samt anfallenden Kosten.

Zum Wiederaufbau der im Krieg zerstörten Kirche aus dem 14. Jahrhundert, betont Baller, „wurden unterschiedliche Partner benötigt“. Der damalige Pfarrer begeisterte mit der Aufbauidee Anfang der 90er-Jahre den Bürgermeister der 6.000 Einwohner zählenden Kleinstadt. Der wiederum erhielt Verstärkung durch den Förderverein und die Denkmalbehörde. Als erste Fördermittel der 7 Millionen Mark teuren Sanierung in Aussicht gestellt wurden, engagierte man einen Architekten. Der setzte ein Dach auf die Ruine und ins Innere des Kirchenschiffs einen vierstöckigen Einbau aus Holz und Glas: die „Arche“. In zwei Etagen logiert die Bibilothek, darüber sind Räume für Tagungen und Sitzungen der Stadt.

Und mittendrin hat Pfarrer Baller sein Büro, der „keine Probleme“ damit hat, dass ihm die Geschäftsführerin der Betreibergesellschaft gegenübersitzt. Im Gegenteil. „Wir sind das Modell für andere Kirchen in Brandenburg.“ Oder anders gesagt: Die Kirche 2000 – Ruine als Chance.