Das Portrait
: Einflüsterer im Alpenland

Wunderschön, dieses Kreuth am Tegernsee. Nur ein wenig unheimlich. Denn, wie es dortige Fremdenverkehrswerber auf ihrer Internet-Homepage so treffend ausdrücken: „Weißblauer Himmel, ein Bergpanorama, das einem den Atem verschlägt und traditionelle Lebensart, das sind nur einige wenige Dinge, die Kreuth am Tegernsee zu bieten hat.“ Bei dieser missglückten Formulierung läuft uns ein kalter Schauer über den Rücken: Es gibt ihn also doch, den sagenumwobenen Geist von Kreuth. Wir erinnern uns: 1976, die CSU war noch jung und dynamisch, und ihr dicker Vater Franz Josef Strauß lebte auch noch, da spukte es zum ersten Mal im Wildbad. Offenbar berauscht von reiner Alpenluft beschlossen die sozialen Christenmenschen eine spektakuläre Sezession: Fortan, so Straußens Wille, werde die Schwesterpartei CDU ohne ihre rechte Krücke durchs Leben schreiten müssen. Die Fraktionsgemeinschaft werde aufgekündigt, die CSU bundesweit expandieren. Der Grund: Seinerzeit war die Lage der Union ähnlich desolat wie heute. Zum Glück für die CSU wurde der größenwahnsinnige Beschluss wenig später von der Basis wieder gekippt.

Geist von Kreuth (24)

Seither kann man sicher sein: Viel Unsinn wird das ganze Jahr über von der CSU verkündet, aber die absurdesten Schoten kommen garantiert zur Winterszeit, wenn die bayerischen Bundestagsabgeordneten durch den Schnee am Tegernsee stapfen und sich bei Promi-Kamin-Talks mit beispielsweise Wolf Biermann die Köpfe heiß reden. Dann fährt der Geist von Kreuth in sie, und ohne tieferen Sinn wird in die Mikrofone geplappert: „Bayern wird es nicht zulassen, dass Aufbau-Ost-Gelder von Bund und Ländern für den Kommunismusaufbau Ost missbraucht werden“, schwadronierte etwa 1999 Erwin Huber, Chef der bayerischen Staatskanzlei. Der damalige Vorsitzende Theo Waigel hatte anschließend seine liebe Mühe, Huber nicht offen der Idiotie zu bezichtigen: „Erwin Huber ist ein kluger Mann und weiß selbst, was er sagt.“ Sollte heißen: Er weiß es nicht. Aus ihm sprach der Geist. Mitten im gefürchteten geistigen Bermudadreieck zwischen Rottach-Egern, Achenpaß und Natternwand (1.618 m) durchfuhr ihn der alpenländische Einflüsterer.

Im neuen Jahrtausend sind wieder alle Erwartungen auf den Geist gerichtet: Wen wird er diesmal erwischen? Wer wird heuer durchknallen? Wie steht es doch so wahr auf der eingangs zitierten Homepage: „Eines ist auf jeden Fall gewiß, langweilig wird es in Kreuth nie.“

Stefan Kuzmany