Ein halbes Jahr nach dem Ende des Kosovo-Krieges kann Milosevic seine Macht nur noch mit brutaler Gewalt sichern
: Das Ende von Serbiens Geschichte

Aus Belgrad droht heute niemandem mehr Gefahr – außer Serbien selbst

Die Krise im Kosovo sollte eigentlich ein Anlass sein, um endlich einen Regimewechsel in Belgrad zu erreichen. Das wäre ein ganz großer Gefallen gewesen – für Europa, für den Balkan und vor allem für Serbien selbst. Aber die Operation wurde so geplant und ausgeführt, dass sie nie zu diesem Ergebnis führen konnte – und das war absehbar. Während sowohl die Nato als auch Milošević sofort ihren Sieg verkündeten, feierten vor allem die Kosovo-Albaner, die die größten Opfer zu erdulden hatten. Nicht gefreut haben sich lediglich die Kosovo-Serben und diejenigen Menschen in Serbien selbst, die wissen, dass ihr Land vernichtend geschlagen wurde – und zwar von beiden „Siegern“ gemeinsam.

Der Sieg der Nato ist eindeutig: Die serbische Armee hat sich aus dem Kosovo zurückgezogen. Man könnte an der Notwendigkeit und der Berechtigung der Nato-Intervention zweifeln – wegen der Opfer, wegen der Zerstörung, aber auch wegen der heutigen Situation auf dem Amselfeld. Man könnte darauf hinweisen, dass die Luftangriffe nicht zum Sturz des Regimes in Belgrad geführt haben, dass die serbische Armee keine größeren Verluste erlitten hat. Der Sieg der Nato jedoch steht außer Frage. Das gilt auch für den Sieg Milošević’. Er wusste genau, wie die Intervention aussehen würde, und hat das damit verbundene Risiko ruhig akzeptiert. Er hatte wohl einige Illusionen über mögliche russische Hilfe und spekulierte auf Zwietracht innerhalb der Nato – aber er hat sich nie vollkommen darauf verlassen.

Für Milošević sind Kriege vor allem private Streitigkeiten. Wichtig ist ihm lediglich, seine Macht nicht zu gefährden. Seit Beginn seiner Karriere hat Milošević sich immer bemüht, in der Öffentlichkeit den Eindruck zu erwecken, dass es für ihn und sein Regime keinen Ersatz gäbe. Deshalb zerstörte er die staatlichen Institutionen, schaffte die bisherigen politischen Spielregeln ebenso ab wie den Rechtsstaat. So vernichtete Milošević nicht nur seine jeweiligen politischen Gegner, sondern auch die institutionellen Möglichkeiten eines Machtwechsels. Während der Nato-Intervention und danach hat sein Regime die Opposition und die unabhängigen Medien mit allen Mitteln bekämpft. Heute verbinden den Präsidenten und sein Volk nur noch die Polizei und die Armee.

Bisher wurde in Serbien noch eine demokratische Fassade aufrechterhalten. Doch nach der Nato-Intervention und dem Verlust des Kosovo stützt sich das Regime immer mehr auf Gewalt. Dieser Wandel ist natürlich erzwungen. Denn obwohl Milošević die Bombardierung Serbiens und den Rückzug aus dem Kosovo problemlos überlebt hat, zeigt sich nun, dass er die Reaktion der Bevölkerung nicht richtig eingeschätzt hat.

Gleich nach dem Ende des Kosovo-Krieges begannen die Menschen in Serbien, ihre Verbitterung endlich gegen ihr Regime zu richteten. Oppositionelle Stimmen fanden wieder Zuhörer – weniger bei den Massenprotesten und Demonstrationen der politischen Opposition als auf den vielen spontanen Versammlungen revoltierender Bürger und Soldaten-Eltern. Bemerkenswert ist auch, dass diese Versammlungen in den Städten Südserbiens ihren Schwerpunkt hatten – an Orten also, die bis dahin in Treue fest zum Regime gestanden hatten. Trotzdem hat die Popularität der oppositionellen Parteien nicht bedeutend zugenommen. Viele Menschen sind durch frühere Misserfolge und die ständigen internen Konflikte enttäuscht, andere sehen in den Oppositionellen immer noch keine echte Alternative zum bestehenden Regime – obwohl sie begreifen, dass es mit Milošević keine Zukunft mehr gibt. Kein Mensch glaubt die Propagandageschichte über den Sieg über die Nato. Und jeder weiß, dass sich nicht nur die serbische Armee, sondern auch die meisten serbische Kosovaren aus dem Kosovo zurückgezogen haben. Jedem Menschen in Serbien ist bewusst, dass die Interessen des Regimes völlig gegensätzlich zu denen des serbischen Staates sind. Der Verlust des Kosovo, die Opfer, die Flüchtlinge, die zerstörten Brücken und Fabriken – das alles zeigt einen epochalen Bruch, den größten in der Geschichte Serbiens. An der Spitze des Landes aber steht weiterhin ein Mensch, der sich als Sieger fühlt.

Viele Menschen in Serbien sehen heute, dass Milošević der größte Feind seines Landes ist – und das bedeutet, dass das Regime nicht mehr auf sie zählen kann. Deshalb hat Milošević zu Recht Angst von freien Wahlen, deshalb erhöht seine Polizei jetzt den Druck auf die Opposition. Das Regime ist heute weniger denn je bereit, sich dem Risiko des Machtverlustes auszusetzen – schließlich droht ihm jetzt auch noch eine Anklage aus Den Haag. Derart unter Druck, prangert Milošević seine politischen Gegner in Serbien jetzt als Todfeinde an. Und um zu verhindern, dass diese ihm gefährlich werden, dürfte er wohl keine freien Wahlen zulassen.

Aber um Wahlen zu umgehen, brauchen Milošević und Co. Chaos und – wenn möglich – Vorwände, um den Ausnahmezustand wieder einzuführen, wann immer es nötig ist. Deshalb auch behaupten die Regime-Medien, die Opposition wolle einen Bürgerkrieg herausfordern. Da tut es nichts zur Sache, dass es de facto keinerlei Anzeichen für solche Pläne gibt und dass politische Gewalt und Terror in Serbien, wenn überhaupt, von einem Regime ausgehen, das sich in die Ecke gedrängt fühlt.

Die Opposition verfügt über keinerlei Mittel, um sich gegen diese Gewalt zu wehren. Deshalb wird das bisschen Hoffnung, das es noch gibt, auf ein Auseinanderbrechen des herrschenden Blocks, auf eine Verschwörung oder einen Putsch gegen Milošević gesetzt. Nur: Bisher lässt nichts darauf schließen, dass dafür reale Aussichten bestehen. In Armee und Polizei zumindest gibt es keine Anzeichen der Illoyalität. Dafür besteht dort ein historischer Imperativ des zähen Widerstandes gegen ausländische Armeen, der in der serbischen Geschichte und im Partisanenmythos aus dem Zweiten Weltkrieg wurzelt. In der Verfassung Tito-Jugoslawiens stand, niemand habe das Recht, eine Kapitulation zu unterschreiben.

Der wichtigste Faktor für die interne Stabilität der Macht Milošević’ ist heute die Angst. Die Stützen seines Regimes – Polizei, Armee und die kriminalisierte Wirtschaftselite – haben viele Gründe, sich vor der Machtübername durch die Opposition zu fürchten. Hinzu kommt internationaler Druck: Neben Milošević sind zahlreiche hohe Funktionäre wegen Kriegsverbrechen angeklagt; anderen wird die Einreise in fast alle europäischen Länder verboten; und weiteren wurde der Zugang zu ihrem Eigentum im Ausland blockiert. Wenn diese Menschen nicht um ihre eigene Haut fürchten würden, könnten zumindest einige von ihnen Milošević den Rücken kehren. So aber geschieht nichts.

Im Ausland ist die Meinung verbreitet, in Serbien gäbe es kleinere und größere Schuldige. Für die größeren ist das UN-Gericht in Den Haag bestimmt, für die kleineren die Sanktionen. Die Serben allein kommen einfach nicht dazu, sich mit eigener Schuld oder irgendwelchen anderen moralischen Fragen zu befassen. Viele von ihnen zittern in diesem Winter – entweder vor Kälte, andere aus Angst. Beide werden sich vor allem mit dem Erhalt ihres eigenen Lebens beschäftigen.

Viele Serben glauben, dass Milosevic der größte Feindihres Landes ist

Jeder durchschnittliche Bewohner Serbiens würde heute auf der Stelle einwilligen, sich einer Art Entnazifizierung zu unterziehen, wenn dies die Bedingung für eine Rückkehr zum normalen Leben wäre. Er würde alles aussprechen, was man von ihm verlangen würde. Er würde gestehen, dass er für Verbrechen verantwortlich ist, er würde die Albaner um Verzeihung bitten, sich bei der Nato für die Bomben bedanken, würde auf das Kosovo verzichten und versprechen, die neue Weltordnung zu feiern und jedermann zu empfehlen.

Die serbische Geschichte ist eigentlich beendet. Milošević’ Abenteuer ist zum Ende gekommen, und zwar dort, wo es begann – im Kosovo. Alle serbischen nationalen Träume, die er glaubte, mit Gewalt verwirklichen zu können, haben nun ihren endgültigen Epilog. Milošević wird sich nie wieder mit großen historischen Geschäften befassen können. In diesem Sinne ist die Zeit seines Regimes abgelaufen – was aber nicht bedeutet, dass es, durch innere Gewalt und äußere Isolation gestützt, nicht doch noch einige Zeit überleben könnte. Aber aus Belgrad droht heute niemandem mehr Gefahr – außer Serbien selbst.

Stojan Cerović