Unser Phil Collins für unser Land

■ Du und Deine Sender 2: In unserer schnuckeligen neuen Serie hören wir das komplette Radio-Programm in der Bremer Region an. Heute schenken wir „Radio Wir von hier“ unser Gehör

Nie war so viel Radio wie heute. Vor wenigen Jahren mussten sich die einzelnen Zielgruppen noch zu gewissen Stunden vor den Radiogeräten versammeln. Doch heute hat jedes Grüppchen seinen eigenen Sender. Deshalb hören wir mal genauer hin. Heute auf der Skala: „Radio Wir von hier“, Bremens erstes privates Vollzeitprogramm.

Man kommt nicht umhin, den Mut der MacherInnen zu bewundern. Ein ganzer Sender, ja ein ganzes Lebensgefühl haben die Verantwortlichen von Radio Wir von Hier um ein einziges Wort herum gebaut: „Unser.“

In hörbar bester Laune und mit ganz viel Lokalkolorit ziehen die Radiomacher von der Schlachte in den Wettstreit um die HörerInnen – vor allem um jene, die sonst die Hansawelle von Radio Bremen hören. Das Team vom Radio mit dem umständlichen Namen hat sich einiges ausgedacht, um sich von anderen Sendern abzuheben: Es gibt tolles „Radarwetter“ statt einer schnöden Vorhersage mit Regenwahrscheinlichkeit. Mehrmals am Tag wird nostalgisch Rückschau gehalten, was denn 1983 in Bremen so los war. Und statt drögem Verkehrsfunk wird „Staustufe Grün“ gemeldet, wenn man freie Fahrt hat. „Der Staustufenservice für unser Land Bremen. Ihr schnellster Weg durch das schönste Land im Norden,“ schallt es mit einem so hörbar breiten Grinsen aus dem Lautsprecher, dass man am liebsten zurückwinken würde.

Das Wichtigste ist aber das Wort „unser“. Es gibt nicht das Bundesland Bremen, sondern nur „unser Land Bremen“, „unsere Reporter“ melden sich für „unser Radio Wir von Hier“ aus Bremerhaven oder Achim, je nachdem, wo gerade eine Milchkanne umgekippt ist. „Unser Bildungssenator Willi Lemke“ will fleißige Lehrer mit Kaffee und Kuchen versorgen und so weiter. Irgendwann war sogar mal davon die Rede, dass „unsere“ Drogendealer ein Problem darstellen, steckte mir mein Kollege Hippen.

Das Sender-gewordene Gemeinschaftsgefühl erinnert fatal an unseren Bürgermeister Henning, der mit seinen langen Armen und erdrückendem Konsensgrinsen alles umschlingen, einbeziehen, festhalten, knuddeln möchte und noch jede weggeworfene Bremer Cola-Dose total super findet.

Insofern passt Wir von Hier ganz gut in unsere Stadt und unsere Zeit.

Dementsprechend gutgelaunt werden selbst die schlechtesten Nachrichten enthusiastisch vorgelesen – auch wenn's die Redaktion manchmal mit die Grammatik nicht so hat. „Bremerhavens SPD sieht's gelassener“, gell? Und am Ende wird zackig „keine Regenechos“ und „Staustufe grün“ verkündet, was wohl Sonnenschein und freie Fahrt heißen soll. Eigentlich wäre das ein Fall für die Landesmedienanstalt, weil die Vergabe von Sendelizenzen daran gekoppelt ist, dass ein Betreiber außer guter Laune auch eine gewisse Informationskompetenz nachweisen muss.

Aber immerhin macht Wir von Hier die Nachrichten selber und kauft sie nicht von einem Münchener Medienunternehmen ein, wie es 80 (!) andere Privatradios in Deutschland tun.

Wichtiger als die Wortgeplänkel ist für unser Radio Wir von Hier ohnehin die Musik. Freilich spielen die Frohnaturen unsere Hits am laufenden Meter. Das war an den ersten Sendetagen noch lustig und lud zum Mitsummen ein. Mittlerweile ist das gar nicht mehr komisch, denn es klingt, als würden immer wieder die selben 27 Supersongs rauf und runter genudelt. Jede Wette, dass die Musik direkt aus dem Computer und nicht von CDs kommt – die würden diese Dauerbelastung wohl kaum aushalten. Selbstredend ist Konsensmucker Phil Collins jede Stunde mindestens einmal zu hören. Angesichts des akustischen Sperrfeuers aus „Self Control“ und Paul Young und Phil wäre vielleicht im Sinne des menschlichen Bedürfnisses nach ein klein wenig Abwechslung eine größere Festplatte angebracht. Das Schlimme: Weil seit Mitte der 80er Jahre irgendwelche Format-Profis der Ansicht sind, dass sich so die Klangfarbe für einen erfolgreichen Sender anhören muss, wird sich nichts daran ändern. Niemals.

Würgen will man diese gut draufen, fröhlichen und wenig informierten Menschen. Die Idee, den etwas schnarchigen Öffentlich-Rechtlichen durch Private mal Feuer unter'm Hintern zu machen, war in Ordnung. Aber der Preis dafür war zu hoch: die schöne neue Radiowelt von unserem Radio Wir von Hier. Mit Musik, die nur noch Beschallung ist und Worten, die nicht mehr als irgendwas irgendwie Positives mitteilen. „Ein neues Jahrtausend im Lande Bremen, und wir sind mitten drin“, vermerkt strahlend eine Sprecherin. Das sind wir in der Tat. Gruselig.

Lars Reppesgard

„Radio Wir von Hier“ 89,8 Mhz; Bremerhaven 104,3 Mhz