Komm, ruf an, ich helfe dir

Neben den herkömmlichen Telefonseelsorgern drängen unter der Nummer 0190 auch kostenpflichtige Anbieter auf den Markt. Die Depression kommt mit der Telefonrechnung ■ Von Isabel Merchan

Auf Schulmädchen getrimmte Blondinen hüpfen in eine Badewanne. Wer will, kann sie unter einer 0190-Sexhotline anrufen. Wer weiter in die Röhre guckt, wird über eine ganz andere Art der Zuwendung informiert. „Haben Sie Probleme mit ihrem Partner oder im Beruf?“, säuselt eine weibliche Stimme. Unter der gleichen Einwahl wie die Sexhotlines wirbt sie für einen Seelsorgeservice.

Bei der Beratung von Menschen in Krisen haben die kostenlosen herkömmlichen Telefonseelsorger Konkurrenz bekommen – von kommerziellen Beratungsdiensten, die über kostenpflichtige 0190-Nummern zu erreichen sind. Hans-Joachim Kruse von der „Freiwilligen Selbstkontrolle Telefonmehrwertdienste“ in Düsseldorf schätzt bundesweit die Zahl der Anbieter auf dreißig.

Seit November 1998 bietet in Berlin der Psychologe Michael Schneider das „trost & rat“-Krisentelefon für 2,42 Mark die Minute an. Wie alle anderen kommerziellen Anbieter ist er verpflichtet, die Anrufer auf den Tarif hinzuweisen. Nach seinen Angaben dauern die Telefonate im Schnitt 15 Minuten, manchmal aber auch eine Stunde. Wie viele Telefonate er zwischen 9 – 23 Uhr bekommt, will er nicht verraten. Nur, dass seine Nummer nach 23 Uhr hin und wieder mit einer Sexhotline verwechselt wird. Im Moment betreibe er das Unternehmen „aus Idealismus“. Er hofft aber langfristig auf Gewinn. Bei Markus Semm, der sein Beratungstelefon „Infogenie“ mit 3,63 Mark pro Minute vor zwei Monaten in Berlin startete, zahlen die Anrufer für ein Gespräch „zwischen 50 und 100 Mark“. Ob sich das Geschäft lohnen wird, weiß auch er noch nicht.

„Hier wird mit der Not von Menschen Gewinn gemacht“, kritisiert Elfriede Weissbach von der kirchlichen Telefonseelsorge. Jürgen Hesse, Geschäftsführer der „Telefonseelsorge e. V.“, bemängelt zudem, dass durch die Inrechnungstellung der Gespräche die Anonymität nicht mehr gewahrt sei. Nach seinen Angaben versuchen in Berlin täglich bis zu 1.400 Menschen die kostenlosen Krisentelefone zu erreichen. „Nur zehn Prozent kommen überhaupt durch.“ Damit verzeichnet Berlin die meisten trostsuchenden Anrufer pro Jahr, dicht gefolgt von Hamburg, Köln und München.

Was bei den einen für überlastete Leitungen sorgt, soll bei den anderen die Kassen füllen. „Infogenie ist klar auf Gewinn ausgerichtet“, sagt Martin Semm. Den Vorwurf der Abzockerei weist er zurück. „Wir bieten eine Dienstleistung, die bezahlt wird.“ Reinhard Plevka von „Santé“, bei dem die Minute ebenfalls 3,63 Mark kostet: „Die Leute rufen sehr oft an und haben dadurch horrende Telefonrechnungen.“ Weil sich sein Angebot aber nicht rentiert hat, wird er demnächst die 0190-Nummer in eine kostenlose 0800-Nummer umwandeln.

Prinzipiell hat Jürgen Hesse von „Telefonseelsorge e. V.“ nichts gegen kostenpflichtige Beratungen. Aber: „Die Dienstleistung muss qualitativ gut sein. Das ist sie aber nicht.“ Viele Kommerzielle seien nicht richtig geschult, deshalb seien sie keine wirkliche Konkurrenz. Eine Einschätzung, die die kostenpflichtigen Anbieter teilen. „Wir sprechen Leute an, die eine von kirchlichen Dogmen freie Beratung wollen“, sagt Markus Semm von „Infogenie“.