Ökolumne
: Quiekende Säue

Auf der Grünen Woche herrscht Idylle. Ekelthemen sind tabu

Jetzt wird wieder kräftig gekuschelt. Die Säue liegen im Stroh und quieken behaglich, auch Kälbchen Peter räkelt sich ziemlich süß, während Bulle Hermann unter neidischen Männerblicken die Kuhattrappe besteigt und eine anständige Portion Samen spendiert. Sie ahnen es: Grüne Woche! Das Holland-Meisje verteilt Gouda-Käse-Happen. Bratwurstdüfte wabern, Känguru-Fleisch kokelt im Kessel, und die Allgäu-Buam hauen sich schuhplattlernd die Schenkel wund. Der Besucherrekord ist fest programmiert, und abends intubiert der DRK-Helfer die Alkoholleiche zur fälligen Magenspülung. Ham mir a Gaudi g’habt!

Die weltweit größte Leistungsschau der Landwirtschaft hat noch nie unter der Wirklichkeit gelitten. Weil sie sie ausblendet. In diesem Jahr ist die wenig Appetit fördernde Tatsache auszublenden, dass man Nutztiere mit Klärschlamm füttert. Oder mit Altöl. Hauptsache billig. Auch von der Milchquote reden eine Woche lang nur die ewigen Spinner. Es braucht in den Messehallen schon viele Blickfänger mit telegenem Ferkelglück im duftigen Heu, um die Sauerei mit dem Tierfutter vergessen zu machen. Sie war der Höhepunkt in einem für die Landwirtschaft eher traurigen Jahr. 1.600 neue Fälle der Rinderseuche BSE wurden in Großbritannien gezählt, aber das Fleisch von der Insel wird wieder exportiert, natürlich nur von sauberen Herden. Hirnerkrankungen allenthalben!

Im großen Streit um die „Agenda 2000“, der wichtigsten Weichenstellung für die europäische Landwirtschaft im alten Jahrzehnt, siegte am Ende die Orientierung auf den Weltmarkt. Dass man zu Preisen, wie sie der Weltmarkt diktiert, keine nachhaltige Landwirtschaft praktizieren kann, wird nicht mal der rot-grüne Kegelclub bestreiten. Erneute Enttäuschung. Und selbst die gut gemeinte Ökosteuer bestraft den kleinen bäuerlichen Hof. Die Energie wird teurer, das ist okay. Doch von der als Ausgleich gedachten Senkung der Lohnnebenkosten profitieren alleine die Agrokonzerne. Der Familienbetrieb hat nämlich keine Angestellten, deren Löhne billiger werden. Er lässt nicht arbeiten, er schuftet selbst.

Und die gute Nachricht? Sie heißt „schöner wohnen“. Das Bundesverfassungsgericht erklärte die Tierquälerei der Legehennenkäfige zur nicht verhaltensgerechten Unterbringung und verlangte mehr Platz. Scharren und Picken soll wieder erlaubt sein. Die bisherige Haltung kollidiere mit unseren „sittlich fundierten Gerechtigkeitsvorstellungen“. Tut sie das wirklich? Ist es den meisten Verbrauchern nicht völlig egal, wie Schweine, Kälber, Hühner und Puten gehalten werden? Noch nie wussten die Verbraucher so wenig über Aufzucht und Tötung der Nutztiere und die Herstellung ihrer Lebensmittel. Und noch nie haben sie im Verhältnis zu ihrem Einkommen so wenig Geld für das Essen ausgegeben. Die Verbrauchermacht zementiert die Barbarei im Stall.

Mal ehrlich: Wer weiß, wie alt die Ente war, die zu Weihnachten im Topf schmorte? Sie war vermutlich 45 Tage alt. Das ist die Durchschnittszahl. In immer schnellerem Tempo wird das Tier zum Schlachtgewicht getrieben. Ach so, bei Ihnen gab’s Truthahn. Dessen Brustmuskel hat in den letzten 20 Jahren 40 Prozent Gewicht zugelegt. Deshalb können die Puten nicht mehr richtig laufen. Sie stürzen häufig wegen des Übergewichts ihres Vorbaus. Jedes 10. Tier verendet vor dem Schlachttermin.

Unsere Hoffnung bleibt der Biobauer. Leider wird unsere Sympathie derzeit wenig belohnt. Die neuen „Preismasken“ für Bioschweine – Bezahlung streng nach Magerfleischanteil – unterscheiden sich nicht mehr vom Abrechnungsmodus für „normale“ Schweine. Magerfleisch, Magerfleisch, Magerfleisch! Von alten Haustierrassen, die robust, aber fetter sind, redet niemand mehr. Dafür darf Sojaschrot „ausnahmsweise“ verfüttert werden, und: Gesundheitsschädliches Nitritpökelsalz wird im Biosektor wieder zugelassen, damit die Wurst knallrot unter der Theke liegt. Die Unterschiede zwischen biologischer und industrieller Landwirtschaft schrumpfen, die Liste erlaubter Zutaten wird länger. Zugegeben: Der Druck auf die Bioerzeuger ist wegen des anhaltend niedrigen Preises für Schweinefleisch erheblich. Aber die Zugeständnisse dürfen nicht zu weit gehen.

Wenn Ihnen jetzt der Appetit vergangen ist und Sie den Grüne-Woche-Rundgang ausfallen lassen, dann hätte die Kolumne ihren Zweck erfüllt. Falls Sie doch hingehen: Slow Food veranstaltet einen Sinnes- und Geschmacksparcours für Kinder. Er findet in Halle 01/2, an Stand 08 statt. Manfred Kriener