Sanften Druck ausüben

Bisher hat die deutsche Wirtschaft erst zwei Milliarden Mark Entschädigungsgelder für NS-Zwangsarbeiter eingesammelt. Die Stiftungsinitiative will die Firmen nun bei ihrem Jahresumsatz packen ■ Von Nicole Maschler

Berlin (taz) – Nur widerwillig hat die deutsche Wirtschaft Mitte November ihren Anteil am Entschädigungsfonds für NS-Zwangsarbeiter erhöht. Hinter den Kulissen rechnen sich die Konzernchefs seither die Köpfe heiß. Denn noch fehlen drei der zugesagten fünf Milliarden Mark.

Wolfgang Gibowski, Sprecher der Stiftungsinitiative, will nun die Wirtschaftsleistung der Firmen als Maßstab nehmen: Die Entschädigungssumme sollte ein Promille des Jahresumsatzes, also ein Tausendstel, betragen, sagte er zur taz. Ein zweites Rechenmodell, das sich an der Anzahl der Beschäftigten orientiert, wäre nach Gibowski ungerecht: „Es gibt eben Unternehmen mit wenigen Beschäftigten und hohem Umsatz.“

Noch ein drittes Modell, nach dem die Umsätze in Intervallen gerechnet werden sollen, ist in der Diskussion. Doch dieser Vorschlag dürfte kaum durchsetzbar sein. „Wir wollten die Beiträge zunächst nach Umsätzen staffeln – also unter einer Milliarde, unter 2,5 Milliarden, unter fünf Milliarden, unter zehn Milliarden Mark Umsatz“, sagte Gibowski. Ein Unternehmen mit einem Jahresumsatz von sieben Milliarden Mark, das in dieselbe Kategorie wie eine Firma mit zehn Milliarden Mark Umsatz fiele, müsste danach jedoch einen – gemessen an seiner Wirtschaftsleistung – relativ höheren Beitrag zahlen. Ein neuer Streit um die Entschädigungszahlungen wäre programmiert.

Nach dem Ringen der vergangenen Monate ist Gibowski Realist genug, um zu wissen, dass es „ein vollkommen gerechtes Modell nicht geben kann“. Es handele sich um eine Solidaritätsaktion der ganzen Wirtschaft. Entscheidend sei daher nicht, ob eine Firma 300 oder 30.000 Zwangsarbeiter beschäftigt habe. Schließlich sollten auch Opfer entschädigt werden, deren Unternehmen heute nicht mehr existieren. „Deshalb legen wir die heutige Leistungsfähigkeit als Messlatte an, nicht die frühere Schuld.“ Sonst kämen die zugesagten fünf Milliarden Mark nie zusammen.

Rund 110 Firmen sind der Stiftungsinitiative inzwischen beigetreten. Unternehmen, die bislang nicht zahlen wollen, können sich in den kommenden Tagen auf Post von Gibowski freuen. „Aus dem Brief wird erkennbar, welchen Beitrag wir von den Firmen erwarten.“

Der Stiftungssprecher will lieber sanften Druck ausüben: „Wenn die Summe nicht angemessen ist, werden die Unternehmen eben nicht in den Fonds aufgenommen.“ Eine Drohung, die so manchem Konzernchef die Schweißperlen auf die Stirn treiben dürfte. „Je mehr Firmen dem Fonds beitreten, desto wichtiger ist es für die anderen, auch dabei zu sein“, glaubt Gibowski. Einen Vertrag lehnt Gibowski jedoch ab. „Das ist eine Frage von Moral und Verantwortung.“

Stiftungsmitglied Volkswagen, das 1998 einen eigenen Fonds für seine ehemaligen Zwangsarbeiter eingerichtet hatte, sieht allerdings noch „Regelungsbedarf“. „Was mit den Unternehmen geschieht, die bereits entschädigt haben, ist bisher nicht geklärt“, sagt VW-Sprecher Bernd Graef. Es sei Sache der Stiftungsinitiative, dieses Problem zu klären.

Die Anwälte der ehemaligen Zwangsarbeiter lehnen es ab, bereits geleistete Entschädigungen anzurechnen. Nach einem Gesetzentwurf aus dem Finanzministerium sollen Gelder, die Deutschland im Rahmen des Bundesentschädigungsgesetzes nach 1945 gezahlt hat, mit den vereinbarten Zahlungen verrechnet werden.

Der Reifenhersteller Continental, der dem Fonds Mitte Dezember beigetreten ist, will sich die Höhe seines Entschädigungsbeitrages nicht vorschreiben lassen. „Mit der Summe, die wir genannt haben, kann die Stiftungsinitiative zufrieden sein“, glaubt Sprecher Peter Schwerdtmann. Der Betrag werde jedenfalls nicht unter einem Promille des Jahresumsatzes liegen. Nach dem Promille-Modell müsste der Gummiproduzent rund dreizehn Millionen Mark in den Fonds zahlen.

Für die Zahlenspiele der Unternehmen hat Deidre Berger, Leiterin des Berliner Büros des American Jewish Committees, wenig Verständnis. „Für die Deutsche Bank waren 50 Millionen Mark ‚Peanuts`“, erinnert Berger. Mit diesem Begriff hatte Vorstandschef Hilmar Kopper die unbeglichenen Handwerkerrechnungen abgetan, die der Pleitier Jürgen Schneider der Großbank hinterließ.

Nachdem sich Regierungsvertreter, Anwälte der NS-Zwangsarbeiter und Opferverbände Mitte Dezember auf zehn Milliarden Mark Entschädigung geeinigt hatten, wollen sie im Februar in Washington Einzelheiten klären.