Zerstörtes Gedenken an Karl und Rosa

Die Polizei verbietet die Gedenkveranstaltungen an Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg – aus Sicherheitsgründen. Ein von der PDS enttäuschter Berliner hatte zuvor einen Anschlag angekündigt ■ Von Dirk Hempel und Andreas Spannbauer

Aus einem kleinen Kassettenrekorder schallen lautstark Arbeiterlieder von Ernst Busch. Auf einem handgemalten Schild steht „Information zur Luxemburg-Liebknecht-Veranstaltung“, daneben harren fröstelnde Flugblattverteiler der PDS aus. Auf den ersten Blick sieht es in der Umgebung der Gedenkstätte der Sozialisten in Berlin aus wie jedes Jahr, wenn an die ermordeten Arbeiterführer erinnert wird. Doch dieses Mal ist alles anders.

Auf den PDS-Handzetteln geht es nicht um die historischen Verdienste der beiden Kommunisten, sondern um das polizeiliche Verbot der Ehrung. Der Berliner Olaf-Jürgen Staps hatte in Briefen angekündigt, die Kundgebung mit Handgranaten und Maschinenpistolen anzugreifen.

Der 39-Jährige wird von der Polizei als unberechenbar eingeschätzt. Im September vergangenen Jahres hatte er während der Sanierung seines Wohnhauses Feuer gelegt, um sich an seinem Vermieter zu rächen. Nun drohte er der PDS mit einem Blutbad. Die Partei habe ihn in seinem Kampf nicht unterstützt. Sie stehe in der Tradition des SPD-Reichswehrministers Gustav Noske, dem Verantwortlichen für die Morde an Luxemburg und Liebknecht.

Die PDS akzeptierte am Samstag das Verbot des Polizeipräsidenten und verlegte ihre Veranstaltung auf den 15. Januar.

Viele Anhänger haben an diesem Morgen dafür kein Verständnis. „Ich lasse mir doch nicht verbieten, Rosa und Karl zu ehren“, wettert ein weißhaariger Mann mit einem Nelkenbund in der Hand. „Wenn die Nazis marschieren, gibt es genug Polizisten, um sie zu beschützen“, ruft der Mann und zieht an den verunsicherten PDS-Vertretern vorbei in Richtung Gedenkstätte. Doch die Gräber von Luxemburg und Liebknecht sind weiträumig abgeriegelt.

Freunde macht sich die Polizei damit nicht: „Bei Fußballspielen ist jede Woche mit Gewalttaten zu rechnen, aber die werden deswegen noch lange nicht verboten“, beschwert sich Ursula Torheim lautstark. Obwohl sie von dem Verbot gehört hat, ist die 53-Jährige hergekommen. „Das kommt der Polizei bestimmt gelegen, die größte linke Demonstration in Deutschland zu verbieten“, glaubt Torheim zu wissen.

Auch PDS-Mitglieder ziehen sich den Zorn der Menge zu. Frei nach Liebknecht heißt es: „Der Hauptfeind steht im eigenen Lager.“ Als „Sozialfaschisten“, „Verräter“ oder „Reformisten“ beschimpfen Abgewiesene die Parteivertreter.

Roland Thales aus Kassel schreit abwechselnd auf die Ordner der PDS und die Polizisten ein: „Wer regierungsfähig sein will wie die PDS, muss wohl mit der Polizei zusammenarbeiten.“ Eingeschüchtert entgegnen die Parteivertreter, die Veranstaltung werde nächste Woche bestimmt stattfinden. Auch wenn Staps sich dann noch auf freiem Fuß befinden sollte.

Bei den Ordnungshütern sieht man das anders. „Grund für das Verbot war die aktuelle Gefahrenlage, und das kann sich erneut so ergeben, solange der Gesuchte nicht gefasst wird“, so eine Sprecherin der Polizei.

Am Frankfurter Tor, zwischen den Prachtbauten der ehemaligen Stalinallee, ist die Enttäuschung ebenfalls groß. Vorwiegend jüngere Leute strömen auf den Platz in Berlin-Friedrichshain, von dem eigentlich eine Demonstration zur Gedenkstätte starten sollte. Doch ein Heerlager der Polizei zerstreut resolut jede größere Ansammlung. Ein Mannschaftswagen reiht sich an den nächsten, Wasserwerfer und Räumpanzer sind aufgefahren. Eine Gruppe von DKP-Anhängern wird vorübergehend festgenommen, als diese der Aufforderung, sich zu entfernen, nicht sofort nachkommen.

Doch wo ansonsten klare Fronten zwischen Polizei und Linksradikalen existieren, wenn eine Demonstration verboten wird, herrscht an diesem Tag Verunsicherung. Nur vereinzelt kommt es zu erhitzten Debatten. „Die Love Parade würde auch nicht verboten, wenn ein Verrückter ein paar Briefe verschickt“, wirft ein älterer Herr einem Uniformierten an den Kopf. Der aber reagiert gelassen: „Sie können mir glauben, ein politischer Hintergrund liegt nicht vor.“

Die Tatsache, dass gerade ein Mitläufer der linken Szene die größte Kundgebung der Linken in Deutschland unter Androhung von Maschinengewehrfeuer zugrunde gerichtet hat, trägt trotz des martialischen Polizeiaufgebotes zur Entspannung bei. Manche sind trotzdem sauer auf die Polizei: „Die sind da, um die Demo zu verhindern, nicht, um uns vor Anschlägen zu schützen“, moniert eine Sprecherin der Antifaschistischen Aktion.

Andere bezeichnen das Verbot gar als „Provokation“, wie die ehemalige FDJ-Zeitung Junge Welt in einer Extraausgabe titelt. Falls es den Attentäter „tatsächlich“ geben sollte, dann habe er „den politisch Verantwortlichen in dieser Stadt und in diesem Land ihren sehnlichsten Wunsch von den Lippen abgelesen“.

Obwohl alle Verbot und Anschlagsdrohungen kennen, wollen die meisten auf die Straße gehen. In kleinen Grüppchen strömen sie zum nahe gelegenen Franz-Mehring-Platz, wie es die Mund-zu-Mund-Propaganda befohlen hat. Von dort setzt sich spontan ein Demonstrationszug in Bewegung. Und beinahe ist es wie jedes Jahr: Rote Fahnen wehen, Transparente fordern die Abschaffung des Kapitalismus, Flugblätter werben für den in den USA zum Tode verurteilten schwarzen Journalisten Mumia Abu-Jamal.

Doch richtige Stimmung will nicht aufkommen. Zu sehr unterscheidet sich der Charakter der Demo, an der vor allem Angehörige der Autonomen, der SDAJ und anderer linksradikaler Gruppierungen teilnehmen, von dem bunten Zug, der sich in den letzten Jahren zu den Gräbern von Luxemburg und Liebknecht gewälzt hatte. Auch die Teilnehmerzahl ist wesentlich geringer. Zwanzigtausend waren es im letzten Jahr, heute sind es gerade einmal ein paar tausend. Viele sind von weither angereist: aus München, Prag, Göteborg, Malmö, Kopenhagen, Barcelona, Nantes, Strasburg oder Wien.

Am ehemaligen Leninplatz, dem heutigen Platz der Vereinten Nationen, erklärt die Polizei die Versammlung per Lautsprecher für beendet. Nicht alle sind damit einverstanden, es kommt zu Rangeleien. Die Veranstalter sprechen hinterher von etwa 40 Festnahmen, die PDS Friedrichshain kritisiert die „Menschenjagd der Uniformierten“.

Während sich die jüngeren Leute mit der Polizei das letzte kleine Gefecht liefern, sorgt zwei Meter daneben eine ältere Frau, bewaffnet mit Che-Guevara-Mütze und Wandergitarre, für die musikalische Untermalung: „Dem Karl Liebknecht, dem haben wir’s geschworen, die Rosa Luxemburg, die fiel durch Mörderhand ...“

Nur der angekündigte Attentäter ist nicht aufgetaucht.