Das Scheinehen-Phantom

Während die Institution Ehe in westlichen Gesellschaften zur Disposition steht, hat sie im migrationspolitischen Zusammenhang eine ungeahnte Bedeutung erhalten – europaweit ■ Von Veronika Kabis-Alamba

Seltenheitswert:Der EU-Rat beschließt,und die Mitgliedsstaatenkommen ihm zuvor

Die Hoffnung, in Deutschland heiraten zu können, hatten Martina und Emeka irgendwann aufgeben müssen. Die Beschaffung der Papiere hatte sich so lange verzögert, bis die Aufenthaltsgenehmigung abgelaufen war. Nun gut, sagten sie sich, heiraten wir eben in Nigeria, Emekas Herkunftsland. Die Hochzeit lag nun hinter ihnen, Martina war zurück in Deutschland, und sie waren zuversichtlich, bald miteinander leben zu können. Doch nach monatelanger Wartezeit war Martina mit den Nerven am Ende. „Verdacht auf Scheinehe“ lautete die Diagnose der deutschen Botschaft in Lagos, nachdem sie dort das Visum zur Familienzusammenführung beantragt hatten. Und damit wurde eine Maschinerie in Gang gesetzt, von deren Existenz Martina nichts geahnt hattte. Das Landeskriminalamt an ihrem Wohnort in Deutschland lud sie zu einer Anhörung vor, aus der sie gedemütigt und beschämt herausging. Immer wieder neue Papiere, doppelt und dreifach beglaubigt, musste ihr Mann beschaffen, ein Fass ohne Boden, so schien es, bis die Behörden schließlich keine Handhabe mehr hatten, um ihm die Einreise zu verweigern. Als Emeka endlich nach Deutschland kommen durfte, hatte die Beziehung bereits eine schwere Belastungsprobe hinter sich.

Ein Gespenst geht um – nicht nur in Deutschland, nein, in ganz Europa. Die europäische Migrationspolitik hat sich nach Inkrafttreten des Vertrags von Amsterdam unverzüglich auf den Weg zur gemeinsamen Abschreckungspolitik gemacht. Die Entschließung C 382 des Europäischen Rates vom 16. 12. 1997 über Maßnahmen zur Bekämpfung von Scheinehen ist ein Ergebnis davon. Sie fordert die Mitgliedsstaaten dazu auf, die ihnen geeignet erscheinenden Maßnahmen zu ergreifen, um solche Scheinehen zu verhindern. Das Generalsekretariat des Europäischen Rates hat nun eine Umfrage unter den Mitgliedsstaaten durchgeführt, um zu überprüfen, ob und in welcher Form die Scheinehenentschließung in den einzelnen Ländern umgesetzt wurde. Entschließungen sind wohlgemerkt unverbindliche Rechtsakte der EU; ob sie sie umsetzen, bleibt den einzelnen Staaten überlassen. Und siehe da, die meisten der befragten Länder gaben an, bereits vor der Entschließung Maßnahmen zur Verhinderung von Scheinehen getroffen zu haben, so zum Beispiel Belgien, Spanien, Schweden und Großbritannien.

Bestanden diese bislang nur in Form von Verwaltungsvorschriften, seien manche Parlamente nun – von Brüssel ermutigt – dazu übergegangen, entsprechende Gesetzesänderungen vorzunehmen, so etwa in Dänemark. Portugal wiederum verfügte sogar über weiter gehende Vorschriften, insbesondere was die nachträgliche Annullierung der Ehe betrifft. Als wichtigste Überprüfungsinstrumente wurden Befragungen der Ehewilligen insbesondere bei der Visabeantragung in den Auslandsvertretungen sowie die mehrfache Prüfung ausländischer Dokumente genannt. Die dänischen Behörden geben an, dass sie ihn zehn Fällen Einreisevisa zur Eheschließung wegen begründeter Verdachtsmomente verweigert hätten. Auch die Griechen nennen zehn Ablehnungen sowie siebzehn Fälle der Eheannullierung, die die Aufenthaltsbeendigung zur Folge hat. Als eines der Hauptkriterien zur Feststellung einer Scheinehe wurde die kurze Zeit der Bekanntschaft vor der Eheschließung genannt, die fehlende Kenntnis der persönlichen Daten des Partners, der Bestand einer früheren Ehe, ein großer Altersunterschied.

In Großbritannien wird immerhin der verbesserte Rechtsschutz der Betroffenen nach Ablehnung der Eheschließung diskutiert, andererseits aber auch die Stärkung der Rolle der Standesbeamten, die einer Meldepflicht gegenüber den Einwanderungsbehörden unterliegen sollen, wenn sie auf Verdachtsmomente stoßen. Und die deutsche Antwort auf die Umfrage? Kein Handlungsbedarf – denn zum Zeitpunkt der Entschließung war bereits das neue Eheschließungsrecht auf den Weg gebracht, das unter anderem die StandesbeamtInnen dazu ermächtigt, Trauungen zu verweigern, und die Möglichkeit vorsieht, erwiesene Scheinehen zu annullieren. Das dürfte Seltenheitswert in der EU haben: Der Rat beschließt, und die Mitgliedsstaaten kommen ihm zuvor. Da funktioniert sie doch, die Harmonie – der Abschreckung! Im migrationspolitischen Zusammenhang hat die Ehe also eine ungeahnte Bedeutung erhalten, durchaus zum Leidwesen der Betroffenen.

Viele Paare würden unter anderen Umständen nämlich keinen Gedanken an Heirat verschwenden; durch den unsicheren Aufenthaltsstatus des einen Partners werden sie dazu gezwungen, oftmals schneller, als ihnen lieb ist. Doch schon schnappt die Falle zu: Denn genau diese nach außen übereilt wirkende Eheschließung gilt als Verdachtsmoment. Und während die Ehe im Westen schon lange nicht mehr als einzig mögliche Verbindung zwischen zwei Menschen gilt, wird sie in dem Moment, in dem sie ein Aufenthaltsrecht begründet, wieder zur heiligen Institution: Wer sie zweckentfremdet, verstößt gegen Recht und Anstand. Auf einmal soll die Ehe wieder die romantische Liebesbeziehung sein, durch das Jawort öffentlich besiegelt, bis dass der Tod euch scheidet.

Doch wo beginnt der Zweck – und wo der Schein der Ehe?

Was binationale Paare so empört, ist auf der einen Seite, dass sie in den letzten Jahren zunehmend unter Generalverdacht geraten sind, obwohl nur ein verschwindend kleiner Teil der Ehen tatsächlich „zum Schein“ geschlossen wurde. Auf der anderen Seite ist es die doppelte Moral, die sich auch darin noch einmal ausdrückt, wie tatsächliche Scheinehen bewertet werden. Heiratete ein Christ eine Jüdin, um sie vor der Verfolgung der Nazis zu schützen, genoss er später den Ruhm eines Widerstandskämpfers. Zweckehen über die deutsch-deutsche Mauer hinweg zeugten – auf westlicher Seite – von hoher moralischer Integrität und Zivilcourage. Wehe aber, wenn der zu Rettende heute Asylbewerber aus Nigeria ist – dann versagen alle Ansprüche an Menschlichkeit und Nächstenliebe, dann wird die gute Tat zur kriminellen Handlung. Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen.

Die Lobbyverbände von Binationalen in den europäischen Mitgliedsstaaten, die sich in der European Conference of Binational/Bicultural Relationships (ECB) zusammengeschlossen haben, sind der Scheinehenhysterie schon lange überdrüssig. So hat die Organisation „Alliance sans frontières“ eine umfangreiche Dokumentation über Scheinehenkontrollen in Frankreich vorgelegt, die massive Eingriffe in das Privatleben der Paare belegt. „Dass sich der Staat Einblicke in das Privatleben seiner Bürger erlaubt, ist in Frankreich eigentlich unvorstellbar. Bei Paaren, von denen ein Partner eingewandert ist, sollen die demokratischen Grundrechte der Freiheit und Gleichheit auf einmal nicht mehr gelten!“, empört sich Beate Collet, die Vorsitzende von Alliance sans frontières. Auch die Mitgliedsverbände in den Niederlanden, Belgien oder Deutschland beklagen seit langem die voranschreitende Beschneidung von Grundrechten in Deutschland, wie sie mit der faktischen Verhinderung von Eheschließungen stattfindet.

Gemessen am hohen Grad der Vernetzung europäischer Politik und Verwaltung stehen die Interessenverbände unter Zugzwang, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen. Aktuell arbeitet ECB, deren Vorsitz für ein Jahr nach Deutschland gegangen ist, an einer Stellungnahme zur Mehrfachdiskriminierung von Binationalen, die sie, durch EU-Parlamentarier aufgefordert, in die Diskussion um eine Grundrechte-Charta einbringen wird. Vielleicht sind es die besonders kreativen Lösungen, die Zukunft haben. Auf der ECB-Jahrestagung in Wien vor wenigen Wochen forderte eine österreichische Vertreterin denn auch ein Umdenken in der Verbandsstrategie, um die Scheinehengespenster aus Europa zu verjagen: „Wir wollen in Zukunft nicht mehr nur den Schutz unserer Ehen und Familien, sondern wir wollen endlich das Recht, gar nicht erst heiraten zu müssen.“