Moskau in der kaukasischen Falle

Mit der Feuerpause um Grosny und der Absetzung zweier Generäle gesteht Russland, dass auch der zweite Tschetschenienkrieg scheitern könnte ■ Aus Moskau Klaus-Helge Donath

„Nur ein einziger Grund hat uns veranlasst, militärische Operationen rund um Grosny auszusetzen“, erläuterte General Troschew sichtlich angegriffen die am Wochenende verhängte Gefechtspause im Kaukasus: „Es gibt immer noch Zivilisten in Grosny, die von den Rebellen als lebende Schutzschilde benutzt werden.“ Gleichzeitig gab der Kommandeur der tschetschenischen Ostfront bekannt, er werde auf seinen früheren Posten als stellvertretender Kommandeur des Nordkaukasischen Wehrkreises zurückkehren. Auch jüngere Militärs sollten Gelegenheit erhalten, sich auf dem Schlachtfeld zu bewähren.

Mit Troschew verlässt auch General Wladimir Schamanow den Kriegsschauplatz. Sein persönlicher Marschbefehl lautet: Wladikawkaz, Kommado der 58. Armee.

Warum Moskau eine Kampfpause verfügt und zwei Generäle jener Troika auswechselt, die nach offizieller Lesart bislang einen erfolgreichen Feldzug geführt hat, gab reichlich Anlass zu Spekulationen. Die indirekte Degradierung General Schamanows kam indes nicht aus heiterem Himmel. Der Kommandeur hatte im letzten Jahr dem Kreml offen Konsequenzen angedroht: Sollte Moskau mit Grosny einen Verhandlungsfrieden suchen, so Schamanow damals, stünde nicht nur ein Bürgerkrieg bevor, auch Offiziere würden massenhaft die Armee verlassen.

Der General hatte damit gegen die Gepflogenheiten der russischen Generalität verstoßen, sich aus der Politik herauszuhalten. Im Dezember hatte Präsident Jelzin Schamanow noch mit dem Orden „Held Russlands“ ausgezeichnet. Die Lobpreisung glich damals einem Judaskuss. Schamanow war zum Abschuss freigegeben. Zumal sich Indizien häuften, dass seine Einheiten im Dorf Alchan-Jurt mit Wissen des Chefs ein Massaker begangen haben.

Obwohl Interimspräsident Wladimir Putin die Auswechslung der Führungsriege im Kaukasus als technischen Vorgang herunterspielt, der nicht auf die Initiative des Kremls zurückgehe, scheint mehr dahinter zu stecken. Putin muss sich aus den Fängen des Militärs lösen. Sein Erfolg war bislang mit dem Kriegsglück der Armee verknüpft. Er hatte den Militärs freie Hand gelassen und war damit erpressbar geworden.

Offenkundig will Putin diesen Eindruck vorsichtig korrigieren. Das ändert nichts an der grundsätzlichen Strategie Moskaus, Tschetschenien wieder botmäßig zu machen. Die Gefechtspause deutet auf zwei Motive hin: Die russische Offensive mit 100.000 Soldaten ist ins Stocken geraten. Das Moratorium soll den Streitkräften die Möglichkeit einräumen, sich zu reorganisieren und die Taktik zu überdenken.

Faktisch gleicht das einem Eingeständnis, dass auch der zweite Kaukasuskrieg vorzeitig gescheitert ist. Die Generalität, die immerhin auf zehn Jahre Erfahrungen Guerillakampf in Afghanistan und in verschiedenen Befreiungsbewegungen der Dritten Welt verweisen kann, hat sich erneut als der Aufgabe nicht gewachsen erwiesen.

Der Versuch, Grosny mit Bodentruppen zu stürmen, ist fehlgeschlagen. Derweil behindert schlechtes Wetter den Einsatz von Artillerie und Luftwaffe und verwandelt jede Bodenoperation in ein Todeskommando. Bereits in den letzten Tagen sah sich die Armeeleitung gezwungen, höhere Verluste einzugestehen.

Verwunderlich ist, wie wenig Mühe Moskau darauf verwandt hat, die offizielle Begründung des Moratoriums abzustimmen. Die Schwierigkeiten der Koordination auf dem Schlachtfeld schlagen sich auch in der Informationspolitik nieder. Ein Hinweis, dass die Einschätzungen des Kremls und der Armee differieren? General Troschew nannte neben der wohl übertriebenen Besorgnis um die in Grosny zurückgebliebenen Zivilisten einen weiteren Grund: Demnach habe der Einsatz von Giftgas seitens der Tschetschenen Grosny in eine „ökologische Risikozone“ verwandelt.

Auch Offiziere nehmen kein Blatt mehr vor den Mund

Der inzwischen Oberkommandierende der Streitkräfte, Putin, erinnerte unterdessen an die Feiertage der Kriegsparteien: das russisch-orthodoxe Weihnachtsfest und den Ramadan. „Wir werden das nicht vergessen und wollen die Gefühle von Gläubigen respektieren.“ Fernsehbilder von dem ersten Austausch von Gefallenen während der Gefechtspause sollten die ethischen Rücksichten unterstreichen. Indes: Im bergigen Süden der Kaukasusrepublik, in der Nähe der Orte Wedeno und Schali halten die Kämpfe an. Dort gilt die religiöse Feuerpause nicht.

Überdies hatte noch am Tag vor der russischen Entscheidung der tschetschenische Präsident Aslan Maschadow zu einer Kampfpause aufgerufen. Die Generalität wies sein Anliegen barsch zurück.

Inzwischen häufen sich Berichte von russischen Offizieren, die ein kritisches Bild der Lage in Grosny zeichnen. Der Kommandeur einer Eliteeinheit des Innenministeriums nahm kein Blatt mehr vor den Mund: „Wir kämpfen gegen Profis. Es ist nicht leicht eine Position zu halten. Ihnen entgeht nichts und sie mähen alles nieder.“ Derselbe Offizier widersprach offiziellen Meldungen, wonach es den Freischärlern an Nachschub mangele. „Sie haben genug zu essen und erhalten ständig neue Munition.“ Fazit: Der Belagerungsring um Grosny ist äußerst porös. Moskau ist erneut in die kaukasische Falle getappt.