Der Schatten des Godzilla

Angebliches Rumoren des Dinosauriers Kohl stört die Klausur der CDU. Wem nützt das Gerücht, der Kohl-treue Rüttgers wolle Schäuble stürzen? ■ Aus Norderstedt Patrik Schwarz

Die lancierte Nachricht von denPutschplänen könnte als Schuss vor den Bug des allzu aktiven Pensionärs gedacht sein

Kehrt Godzilla zurück? Ist der Dinosaurier wieder erwacht, den die meisten schon für ein Fossil hielten? Schickt er sich an, mit gewohnt schwerem Schritt die Erde zum Beben zu bringen? Seine Rückkehr würde Schrecken verbreiten unter all den geringeren Kreaturen, die sich heute dort tummeln, aber all jene begeistern, die seine Prankenhiebe und Behendigkeit immer schon bewunderten. Zu sehen ist von Helmut Kohl jedenfalls nichts auf der CDU-Klausurtagung im schleswig-holsteinischen Norderstedt.

Trotzdem hat der Dinosaurier der CDU dieses Treffen beherrscht und sei’s, weil in der Partei bereits Unruhe ausbricht, wenn sein Schatten sich abzeichnet. Auf die Runde der CDU-Oberen im Hotel „Schmöker-Hof“ fiel der Schatten in Form einer Zeitungsmeldung. Das Kohl-Lager plane, Parteichef Wolfgang Schäuble auf dem Parteitag im April zu stürzen. „Rüttgers soll gegen Schäuble antreten“, titelte die Süddeutsche Zeitung, Kohl-Vertraute drängten angeblich den NRW-Landesvorsitzenden zu einer Kandidatur. Der Altkanzler soll Unterstützung zugesagt haben: „Meine Truppen stehen.“ Eine Quelle nennt die SZ nicht, und als Jürgen Rüttgers in die Kälte vor die Hoteltür tritt, entsteigt nur ein ganz kleines Wölkchen Atemdampf seinem Mund. „Quatsch“, ist alles, was er dazu sagt.

An Dementis mangelt es nicht. Eine Zeitungsente sei das, lautet die Formel der Parteispitze. Ex-Generalsekretär Peter Hintze kürt die Geschichte gar zur „Millennium-Ente“, Wolfgang Schäuble ist selbst das noch zu viel der Ehre: „Enten sind so sympathische Tiere.“ Sicherheitshalber schiebt er noch nach: „Ich glaube, dass ich ein sehr guter Parteivorsitzender bin.“ Doch in Norderstedt ist die ohnehin etwas gezwungene Beschaulichkeit vorbei. Schon zu Beginn der Klausur am Freitag fiel es schwer, Wolfgang Schäuble abzunehmen, die Präsidiums- und Vorstandsmitglieder hätten „sehr lebhaft und engagiert“ über „Schule und Vorschule“ debattiert, über Bildungspolitik also und dann über eine Steuerreform. Zu schwer liegt den Christdemokraten die Spendenaffäre im Magen.

Wenn jetzt auch noch der Urheber der Malaise zurück in die politische Arena stampfte, wäre der Schaden für die Partei mit Godzillas Besuch in Tokio durchaus vergleichbar. Aus Sicht der CDU lag Kohls größtes Verdienst in den letzten Monaten in seiner Zurückhaltung. „Ich schätze Helmut Kohl viel zu hoch ein, als dass er sich noch ins kleinliche Parteigestrüpp begibt“, sagt Ole von Beust aus Hamburg während der Klausur, und es klingt eher nach einem Appell an Kohl als nach einer Verteidigung. „Kohl ist ein Elder Statesman, der zündelt nicht“, fügt er später fast beschwörend hinzu. Bernd Neumann, CDU-Chef in Bremen, bringt es auf eine knappere Formel: „So blöd kann er nicht sein.“

Niemand in Norderstedt glaubt an eine groß angelegte Verschwörung. Dass Jürgen Rüttgers überhaupt etwas davon wusste, bezweifelt sogar einer, der sich durchaus vorstellen kann, dass der Ex-CDU-Vorsitzende Kohl seinem Nachfolger Schäuble übel will. Doch wer immer das Gerücht in die Welt gesetzt hat, verfolgte damit ein Kalkül. Kohl hat die Episode in jedem Fall geschadet. Es stehe der Vorwurf im Raum, „Kohl hat sich aus der Kameradschaft verabschiedet“, meint ein Klausurteilnehmer – in der Schicksalsgemeinschaft CDU ein gravierendes Vergehen. Entsprechend verständlich ist, dass der Verdächtige die Behauptungen am Sonntag „völlig abwegig“ nennt. Wenn Kohl dunkle Pläne verfolgte, gleich welche, sind sie durch die Veröffentlichungen fürs Erste durchkreuzt worden. War er tatsächlich ahnungslos, sieht er sich künftig erhöhtem Misstrauen ausgesetzt.

Es spricht einiges dafür, die Urheber des Gerüchts im Umfeld der neuen Parteispitze um Schäuble und Generalsekretärin Angela Merkel zu suchen. Dazu passt der Eifer, mit dem einige Mitarbeiter Kritisches zu Kohls Verhalten während der letzten Monate beisteuern. So verraten die Reaktionen auf eine womöglich irreale Geschichte einiges über den realen Zustand der Partei. „Welche Rolle kommt denn einem abgewählten Bundeskanzler zu?“, fragt einer rhetorisch und liefert die Antwort gleich mit: „Er darf Rat anbieten und an Sitzungen teilnehmen.“ Bis zum Beginn der Spendenaffäre hätte man in Sitzungen des Bundesvorstands jedoch eher den Eindruck gewinnen können, „Kohl bereitet sich auf die Kanzlerkandidatur 2002 vor“.

Die lancierte Nachricht von den Putschabsichten könnte also gut als Schuss vor den Bug des allzu aktiven Pensionärs gedacht sein. Mit Unbehagen registrieren manche „Aufklärer“ unter den CDU-Funktionären, wie der Altkanzler in den letzten vierzehn Tagen seine Unterstützer in Presse und Partei um sich scharte. „Es sind da Kräfte am Werk“, raunt einer und will von Kohls „reger Reisetätigkeit“ und ebensolchem Besucherverkehr beim CDU-Ehrenvorsitzenden wissen. Kohl wolle klarstellen, „wer die Guten sind und wer die Bösen“.

Als Belege für Kohls intrigante Absichten gelten dann Bild-Leserumfragen, deren Fragestellungen stramme Unterstützung für den Altkanzler produzieren. Auch die Bild-Schlagzeile zur Norderstedter Klausur dürfte in Kohls Sinne ausgefallen sein. Die Gesichter von Merkel, Schäuble und Parteivize Volker Rühe prangen mit Sündermine über der Anklage „Sie lassen ihn fallen!“