Jawoll

■ Neu im Kino: „Der Spezialist“. Eyal Sivans sehr fesselnde Dokumentation und Rekonstruktion des Jerusalemer Eichmann-Prozesses zeigt die Vitalität der ,Banalität des Bösen'

Über 200.000 Besucher strömten vergangenen Herbst in die Mengele-vor-Gericht-Fiktion „Nichts als die Wahrheit“ von R.S.Richter mit Kai Wiesinger und Götz George. Das etwa zeitgleich angelaufene „Original“ namens „Der Spezialist“, das aus 350 Stunden Filmaufnahmen vom Eichmannprozess zusammengeschnipselt wurde, fand bislang nicht mal 5.000 Interessenten. Wir Deutsche sind Musterknaben der Vergangenheitsbewältigung, aber nur wenn Hollywood oder Artverwandtes die Regie führt. Dabei ist „Der Spezialist“ spannend auch im allertrivialsten Sinn, vom Detail bis zum großen Ganzen, also vom Würgen in Eichmanns Halsmuskulatur oder seinem nervös-akribischen Durchforsten dickster Dokumentenberge („Man ist groß geworden in Ordnung und Akuratesse“), bis zu atemberaubenden Stimmungsberichten („mit einem Glas Cognac in der Hand...“) von der Wannsee-Konferenz 1942. Interessant auch, wie heftig damals schon die Kritik formuliert wurde an der Kooperationspolitik der Judenräte, und zwar Kritik von seiten des israelischen Gerichts und des Publikums. Eine empörte Stimme (vermutlich von einem ehemaligen Deportierten): „Ihr habt uns beschwichtigt, um eure eigenen Verwandten vor den KZs zu retten.“

Erhellend an dem neunmonatigen Prozessmarathon 1961 war, „dass Eichmann war wie viele und dass diese vielen weder pervers noch sadistisch, sondern schrecklich und erschreckend normal waren und sind“, fasste Hannah Arendt ihre Eindrücke von der Prozessbeobachtung im Auftrag des Magazins „The New Yorker“ zusammen in ihrer legendären Studie „Eichmann in Jerusalem. Von der Banalität des Bösen“. Eichmann nichts als ein „Stellvertreter“ also, wie Rolf Hochhuth sagen würde. Und Jean Amery, der wie so viele KZ-Häftlinge nach jahrzehntelangen Hadern mit den Traumata im hohen Alter doch noch Selbstmord beging, erwiderte der 1933 Emigrierten: „Es gibt nämlich keine Banalität des Bösen, und Hannah Arendt kannte den Menschenfeind nur vom Hörensagen und sah ihn nur durch den gläsernen Käfig.“

Nun also haben wir Gelegenheit, den Mann im Käfig 128 Minuten lang ,persönlich' kennenzulernen, ganz ohne Kommentar des jungen israelischen Regisseurs Eyal Sivan, verfremdet lediglich durch ein paar akustische und videoclipig geschnittene Spielereien an Beginn und Ende, durch nachträglich erzeugte Schwenks und Close-ups (unvermeidlich: auf Eichmanns schockgefrorene Hände). Am Beginn steht das Schlußplädoyer des Staatsanwalts, in dem er Eichmann als „Tier“ bezeichnet, das außerhalb jeder Menschlichkeit steht. Der Film aber zeigt Arendts makellosen, tüchtigen Beamten, dessen einziger Fehler es war, nicht nachzudenken über den Inhalt seiner Tüchtigkeit. Kein einziger Mensch ist unmittelbar durch Eichmanns Hände zu Schaden gekommen. Er war „nur“ zuständig für das Ausräumen der „Unzukömmlichkeiten“ oder „Unzulänglichkeiten“ oder „technischen (!) Schwierigkeiten“ bei den KZ-Transporten: Der „oberste Spediteur der Nazis“ wie es mal heißt. Sein Lieblingswort: Jawoll.

Seine Verteidigungsstrategie ist bekannt. „Das ist bedauerlich, aber nicht meine Schuld“, diesen Satz scheint der Mann mit dem rollenden Gründgens-Rrrr auswendig gelernt zu haben. Dem Zeitgeist entsprechend hing er einem „idealistischen Nationalismus“ an, den er aber 1961 längst abgestreift hat. Solange es galt, die JüdInnen nach Britisch-Palästina abzuschieben, war er voller Eifer dabei. Als alles zum Gemetzel kulminierte, machte er weiter ohne Überzeugung, als purer Befehlsempfänger. Angeblich! Vor Gericht klammerte er sich nervös an Blätter mit Diagrammen, auf denen minutiös die Behörden-Hierarchien verzeichnet waren; als wolle er Raoul Hilbergs Theorie verifizieren vom Naziregime als Quersumme Hunderter kleiner Verwaltungsakte, wo jeder nur noch ein Opfer des Sachzwangs ist bis hinauf in die höchsten Spitzen. Adornos empirische Studie über „Die autoritäre Persönlichkeit“ in der USA (1950) zeigte, wie vital die Banalität des Bösen auch später und anderswo war/ist.

Was zu wünschen wäre: dass sämtliche deutsche Ausländerbehörden, die Bremer inklusive, zu diesem Film zwangsverpflichtet werden, damit sie später nicht sagen können, sie hätten nicht gewußt, was sie da tun. bk

Kino 46 13./16./17./18. 1. um 18 h, 14./15.1. um 20.30h. Podiumsdiskussion zum Film am 19.1. um 20 h mit Historikern U. Jureit, M. Wild und K. Naumann und Juristen G.Hankel und R.Merkel