Dideldideldideldum – pffpffpffpff

Ewigliche Faszination Sechstagerennen: Radeln im Kreis auf sibirischer Lärche, dazuviel Jahrmarktstreiben und noch mehr Suff ■ Aus dem Berliner Velodrom Markus Völker

Frank Zander lügt. Wider besserer Wissen. Erst hat er die Fans von Hertha BSC verführt. Die singen nach einem Spiel im Olympiastadion immer seine Hymne „Nach Hause, nur nach Hause gehn wir nicht“ und tun’s dann doch. Und nun ist der krächzende Barde auch ins Berliner Velodrom zum Sechstagerennen gekommen, um unlauter zu trällern: „Sechs Tage, sechs Nächte – immer rundherum, und auf allen Rängen brüllt das Publikum.“

Dabei kurven die Radfahrer gar nicht sechs Tage ums Oval im Berliner Velodrom. Nicht mal zwei Tage fahren sie. Die Nettofahrzeit der Duos beträgt nur etwa 31 Stunden. Das ist auch eine stattliche Zeitdauer. Aber da ertönt schon die nächste Flunkerei von Franky: „Die Fahrer treten mächtig ins Pedal, bis die Reifen qualmen.“ Was sieht der Mann? Weder Pneus noch die befahrene sibirische Lärche der 250-Meter-Bahn geben Zeichen eines Brands, den man dem dürstenden Publikum jedoch nicht absprechen kann.

Es ist heiß. Dehydriert steuert das Publikum die zahlreichen Zapfstellen im Wandelgang an, auf dem buntes Jahrmarktstreiben herrscht. Fahrradhöker haben Position bezogen, ebenso wie Vertreter von Autohäusern, Mineralölkonzernen und Pauschalreiseveranstaltern. Auf der Showbühne geben die „Neujohrsgeiger“ aus Ösiland ihr Bestes. Danach versucht sich Schrotti’s Comedy Machine. Der Name ist Programm.

Am Pizzastand von Michele Scotto di Gregorio wird ein besonderer Budenzauber geboten. Das italienische Pizza-Akrobatik-Nationalteam, so etwas wie die Harlem Globetrotters des Hefeteigs, werfen omnibuslenkergroße Pizzaböden durch die Luft sowie zum Nebenmann. Der Beobachter fragt sich, wie wohl die Prozentverteilung von Show und Sport bei diesen Schaustellern sei. Vielleicht 80 zu 20. Oder 90 zu 10.

Eine statistische Spekulation, der sich die Sechstagefahrer nicht entziehen können. Die Gewichtung der Sixdays reicht von „fifty-fifty“ (Zuschauer Gert F.) bis zum „größeren sportlichen Anteil“ (Zuschauerin Renate H.). Auch Pressesprecher Herbert Lee meint, der Sport überwiege. Das Berliner Rennen sei gar das mit dem höchsten sportlichen Anspruch in ganz Deutschland. Das älteste ist es auch. Zum 89. Mal jährt es sich. Seit 1997 findet es im modernen Velodrom statt. Vor der Wende ließ Westberlin im Sportpalast und in der Deutschlandhalle fahren, der Osten veranstaltete Winterbahnrennen in der Werner-Seelenbinder-Halle, die dem Velodrom wich.

Das Publikum kommt zu zwei Dritteln aus den Ostbezirken, aus Marzahn, Friedrichshain oder Pankow. Jene, die mit der Winterbahn groß geworden sind, hängen weniger am Tresen als vielmehr an den Wertungssprints. Akribisch wird jede Punktwertung notiert, nebenbei erregt man sich über die Hochglanzbroschüre, auf der der Kugelschreiber immer aussetzt. „Es war schon ein Schock, die Umstellung“, sagt Lee, selbst Ostler. „Der ganze Lärm und der Rauch in den Gängen – und die Bier trinkenden Menschen.“

Es sind viele Weltmeister, sogar Olympiasieger nach Berlin gekommen. Insgesamt starten 18 Teams mit Fahrern aus neun Ländern. An gleicher Stätte holten Robert Bartko, Jens Lehmann und Daniel Becke vor zwei Monaten WM-Gold im Verfolgungsrennen der Vierermannschaft. Nun hausen sie, falls sie nicht auf der Bahn strampeln, in kleinen Ruhebuchten im Innenraum, in die gerade mal ein Bett hineinpasst. Der Holzverschlag lässt sich mit einem Sichtschutz verhängen, wenn es dem Athleten nach Präparation oder Ruhe verlangt.

Während sich das Publikum mit den Trillerpfeifen für den „Sportpalast-Walzer“ rüstet (dideldideldideldum – pffpffpffpff), hebt Frank Zander zur finalen Strophe an. Es ist ein melancholischer Epilog, der nicht mit dem Hinweis auf Wesentliches spart. Zu Ende geht der Spaß, „dafür gibt’s am Tresen, na ihr wisst schon was“.

Nach vier Tagen Kampf um den Großen Preis der Schultheiss-Brauerei führte übrigens die italienische Kombination Silvio Martinello und Marco Villa, vor ihren Landsleuten Adriano Baffi und Andrea Colinelli. Die Drittplatzierten sind Andreas Kappes und Olaf Pollack.