Das Heilige Jahr ist das Jahr des Papstes

Auf 2000 hat Johannes Paul II. hingelebt. Er will Versöhnung mit den Religionen,und er will Erblasten beseitigen. Das lässt er sich sicher so schnell nicht madig machen

Das Heilige Jahr 2000 soll das Lebenswerk des Papstes krönen: Rummel in Rom, Reisen ins Heilige Land und einen Schlussstrich unter die dunkle Vergangenheit der Kirche. Boris Jelzin und Papst Johannes Paul II. haben viel gemeinsam: Beide saßen gut abgeschirmt hinter den dicken Mauern ihrer Paläste und fällten mehr oder weniger weltfremde Entscheidungen. Bei beiden war nie klar, wer unter den Beratern nun wie viel Einfluss hatte. Und bei beiden fragte sich die Öffentlichkeit bei jeder neuen Krankheit: „Schafft er es oder schafft er es nicht?“ Für Jelzin ist die Frage geklärt. Für den 79-jährigen Papst stellt sie sich gerade wieder neu. Bei Vatikan-Beobachtern galt aber immer: So gebrechlich das Oberhaupt von knapp einer Milliarde Christen auch war, das Jahr 2000 würde es im Amt erleben. Zu stark war sein Wille, zu groß ist die Symbolik des beginnenden dritten Jahrtausends nach Christus, als dass gerade Karol Wojtyla diese Chance zu Positionsbestimmung und Außendarstellung nicht nutzen würde. Seit Jahren und Jahrzehnten hat er darauf hingearbeitet, die katholische Kirche nach seiner Fasson jahrtausendfähig zu machen.

Schwer vorstellbar, dass der willensstarke alte Mann nun vor dieser Aufgabe kapituliert. Denn es wartet eine Menge Arbeit auf ihn und seine Mitarbeiter in Rom. 2000 ist von der katholischen Kirche zum Heiligen Jahr ernannt worden. Alle 25 Jahre feiert die Kirche auf diese Weise mit viel Pomp und Aufwand ihren Glauben. Das Heilige Jahr ist extra auf 380 Tage verlängert worden, um eine Rekordzahl von Heilig- und Seligsprechungen zu schaffen.

Für alle denkbaren Alters-, Berufs- und Bekenntnisgruppen gibt es in diesem Jahr eigene Feiertage in Rom: Neben den Kindern, Professoren, Journalisten und Arbeitern kommen auch Nationalwallfahrten aus Mexiko, Polen oder der Schweiz in die heilige Stadt. Einen eigenen Jubeltag gibt es für Militär, Polizei, Sportler, Behinderte und die „Agrarwelt“. Rom, fürchten viele Römer, werde aus allen Nähten platzen und der Ansturm der Pilger den chaotischen Verkehr zum Erliegen bringen.

Programmatisch bedeutend sollen im Heiligen Jahr die Pilgerfahrten des „eiligen“ Vaters werden. Im März wird er mit Israel, Jordanien und den Palästinensergebieten das Heilige Land bereisen. Damit will er demonstrativ zurück zu den Wurzeln der Kirche und ein Zeichen setzen für den Dialog mit Juden und Muslimen. Ein Besuch im Irak, der den gemeinsamen Ursprung dieser drei Religionen betonen sollte, fiel ins Wasser: Weder Saddam Hussein, der den Termin absagte, noch die USA hatten ein Interesse daran, sich bei dieser Gelegenheit vom Papst deutliche Kritik am irakischen System oder den mörderischen UNO-Sanktionen anzuhören.

Schließlich will der Papst in diesem Heiligen Jahr sein Vorhaben vollenden, die Kirche vom moralischen Ballast der letzten Jahrtausende zu befreien. In den letzten Jahren hat er bereits den Dialog mit den anderen Religionen gesucht und alte katholische Überlegenheitsansprüche relativiert. Er hat die Mitschuld der Kirche an Judenverfolgung und Holocaust eingestanden und um Vergebung gebeten.

Eine Enzyklika aus dem Jahre 1999 sollte das gestörte Verhältnis von Glauben und Wissenschaft kitten; bereits vor einigen Jahren hatte Johannes Paul II. eingestanden, bei der Verurteilung des Galileo Galilei habe die Kirche Fehler begangen. Und Ende des vorigen Jahres schließlich legte die katholische Kirche den jahrhundertealten theologischen Streit mit den Protestanten um die Rechtfertigungslehre bei. Seinen eigenen Schäfchen dagegen kommt der Papst längst nicht so reumütig entgegen. Bei der deutschen Abtreibungsregelung etwa, den Rechten der Nichtkleriker und der Frauen in der Kirche beißen Reformer auch an der Schwelle des dritten Jahrtausends in Rom auf Granit.

Bernhard Pötter