Mit Narrenkappen und Pelzbordüre

■ Alle wollten beim Neujahrsempfang der Bürgerschaft dabei sein, aber keiner hörte zu: Bürgerschaftspräsident Christian Weber musste gegen einen disziplinlosen Haufen anreden

Christian Weber ist ein bedauernswerter Mann: Eben noch muss er eine Delegation abweisen, die Freiheit für den weit entfernten Abdullah Öcalan fordert(s. Seite 21), nun eine freundliche Grußrede zum neuen Jahr halten. Das gehört zu seinen Repräsentationspflichten als Präsident der Bremer Bürgerschaft – ein unpolitisches Amt, um das er sich nicht gerissen hat.

Beim gestrigen Neujahrsempfang wurde ihm sein Einsatz für die Stadt nicht einmal mit einem Minimum an Respekt gedankt. Vielleicht war er ein bisschen selbst schuld. Zu episch-staatsmännisch war der erste Teil seiner Neujahrsansprache geraten, zu weit holte seine Betrachtung des vergangenen „Jahrhunderts der Umbrüche“ aus für einen simplen Empfang. Niemand wollte am Jahresanfang über Einstein, Adenauer und den Holocaust nachdenken und gemeinsam mit Weber über die Lehren der Erinnerung sinnieren.

Als er schließlich bei den handfesten Bremer Themen angelangt war, die alle bewegen, hatte der Präsident den Großteil seiner Zuhörer verloren. Waren seine Ausführungen anfangs von einem leisen Gemurmel unterlegt, schwoll das Palaver allmählich zu einer Lautstärke an, wie sie in der Oper allenfalls bis zum Stimmen der Instrumente schicklich wäre.

So bekamen es Viele gar nicht mit, dass ein paar Mal der alte, kämpferische SPD-Fraktionsvorsitzende mit Weber durchging, er die Unparteilichkeit seines Amtes kurz abstreifte wie eine zu enge Jacke. Zwischen Allgemeinplätzen wie der „positiven Reaktion der Bremer auf die Sanierungsmaßnahmen“, den Bahnhofsvorplatz als Visitenkarte oder die Aufwertung der Innenstadt streute der Parlamentsvorsteher kleine parteipolitische Spitzen: Die Straßenbahnlinie 4 müsse weitergebaut werden und die Entscheidung für ein Bremer Grass-Archiv verdiene „höchste Anerkennung“, ließ Weber wissen. Um an der Stoßrichtung keinen Zweifel zu lassen, erinnerte er daran, dass „große Koalitionen nur zeitweise sinnvoll“ seien und lobte, wie „tapfer“ sich die Grünen in der Bürgerschaft durchsetzten.

Bremens politische Klasse nahm davon keine Notiz an diesem späten Vormittag im Festsaal der Bürgerschaft. Bei einem Gläschen Sekt mussten die vielen Herren und wenigen Damen offensichtlich derart dringend das Neueste aus dem Weihnachtsurlaub austauschen, dass der Redner schließlich gänzlich in Vergessenheit geriet und seine letzten Sätze in einem fünfhundertkehligen Orkan untergingen.

Am deutlichsten um Contenance bemüht waren ironischerweise zwei Vertreter der Karnevalsgesellschaft „Nordlichter“ mit ihren Narrenkappen. Auch den „Hausmeistern und Raumpflegerinnen aus Bremer Schulen“, in schweren Zeiten demonstrativ zum Empfang geladen, fößte das hohe Haus zumindest genug Respekt ein, um dem Hausherrn ihr Ohr zu leihen. not