Nackt und trashig in Las Vegas

Wenn die Hohepriesterin weibliches Unglück und schlechte Liebe besingt und Aktentaschen kleine Schweinereiche verbergen: Mariola Brillowska mit ihrer multimedialen Performance „Symmetrie und Schönheit“ in der Kunsthalle von Luckenwalde ■ Von Harald Fricke

Die Frau am Mikrofon ist eine Hohepriesterin. Das erkennt man am grünen Kleid und an der gefährlich blauen Turmfrisur. Sie hat sich einen Hohepriesterkollegen mitgebracht, der ebenfalls ein grünes Kleid trägt, auf einem Moog-Synthesizer herumdrückt und manchmal leise im Hintergrund Moritaten über „Röntgenslips“ singt. Die Hauptlast hat aber die Hohepriesterin: Sie muss erklären, warum Linda, Lola, Lorna oder wie die Damen alle heißen, so unglücklich mit ihrem Leben sind. Sie muss Klagelieder singen, weil an vielen Orten auf der Welt so schlechte Liebe gemacht wird, von „Sterilitäts“-Typen, die vor einem Tampon ängstlich zurückschrecken und lustlos in „Sex-Mäcs“ beißen. Und sie muss sich danach mit dem Publikum in Luckenwalde darüber unterhalten, was die rituelle Semi-Femi-Performance mit Malerei, Sexpuppen und dem Ausstellungstitel „Symmetrie und Schönheit“ zu tun hat.

Das kann sie gut, das hat sie gelernt. Denn die Hohepriesterin heißt Mariola Brillowska, stammt aus Polen, hat in Hamburg an der Kunsthochschule unterrichtet und in den letzten Jahren ein gutes Dutzend Zeichentrickfilme produziert, von denen „Katharina & Witt, fiction & reality“ 1997 auf der Berlinale lief. Eine Hamburger Wochenzeitung hat die 1961 in Sopot geborene Brillowska als „Diva-Antidiva“ bezeichnet, Dietrich Kuhlbrodt sieht in ihren rot gelackten Fingernägeln „eine Waffe“, und Christoph Tannert vergleicht sie im Katalog mit Tracey Emin (wegen des Hangs zum Exhibitionismus) oder mit Elke Krystufek („It’s my private life, I make art“). Und die Luckenwalder? Haben am Wochenende auch nichts Besseres vor, als sich in der Kunsthalle Vierseithof das obszöne Werk in Video, Bild und Ton anzuschauen. Ansonsten bleibt nur die „Sprinte“-Tankstelle von Frau Bubbe oder der Theaterkeller.

Die Kunsthalle hat ein westdeutscher Investor eingerichtet, der früher schon Kunst aus der DDR gesammelt hat, von Malern aus Dresden und Halle. Das restliche Gelände ist mit einer Vier-Sterne-Hotelanlage inklusive Wellness-Swimmingpool überzogen, und in der Weberstube gibt es Medaillons mit Tomatenröschen. Wer extra aus Berlin mit der Bahn angereist ist, muss um 22 Uhr den letzten Regionalzug erwischen – zum Beispiel Max Goldt, der zusammen mit dem „Rattelschneck“-Zeichner Markus Weimer gekommen ist. Die beiden fahren auf einem „Schönes-Wochenende-Ticket“ für 39 Mark, weil das billiger ist, wenn man es mit fünf Leuten benutzt. Zu zweit bleibt die Fahrt allerdings für jeden genauso teuer wie ein normales Ticket. Das ist aber auch egal, solange Markus Rotwein trinken und Max die Brillowska beim Singen fotografieren kann. MK Kähne hatte die Künstlerin vor Beginn ihrer Performance versprochen, dass sie sich zum Schluss auszieht. Auch das ist ein guter Grund für die 60 Kilometer von Berlin nach Luckenwalde. Am Ende wird dann doch nichts aus dem Striptease, stattdessen läuft Easy-Lounge-Musik, und Kähne darf seine Rollrandmütze aufbehalten.

Natürlich kann man sich auch gut über die Comic-Kunst von Brillowska unterhalten. Mitten im Raum steht ein Kubus, in den Monitore eingelassen wurden, auf denen ihre diversen Zeichentrickfilme zu sehen sind. „Grabowski“ etwa handelt von einem Totengräber, der in seiner freien Zeit Witwen beglückt. Er raucht viel und fickt gerne. Wenn er raucht, breitet sich der Qualm wie eine Sprechblase auf seinem kugelartigen Gesicht aus und überdeckt fast die ganze Bildfläche. Geprochen wird dann eher wenig, denn „Grabowski“ ist ein trist existenzieller Film über Romantik und Triebleben, der sich aus Kafkas Innenwelten und bubbeligem Plüschbilderkitsch zusammensetzt. „Katharina & Witt“ handelt dagegen von Kunstdiebstählen im Museumsmilieu, aber auch hier wird bei aller Liebe zur Semiotik ziemlich häufig kopuliert.

Trotzdem ist der Sex bei Brillowska nicht bloß Selbstzweck oder Pornographie. Eher schon ein Wechselspiel aus Verführung und Befreiung, so wie in der wilden Körper-Malerei der Achtzigerjahre, die hier nun mit Zitaten aus der Club- und Technoszene gespickt wird. Aufmerksam studieren ein paar Besucher die Textzeilen, die Brillowska über knallig rot-grüne Tuschezeichnungen verstreut hat. „Ich bin eine Aktentaschenhülle / Aus Schlangenleder zur Tarnung / Für all die Schweinereichen“ steht da als „Geständnis“ in Reimform, und auf einem der letzten Bilder sieht man zwei nackte Menschen, die im „Las-Vegas-Paradies“ fotografiert wurden. Die Frau trägt rote Plateauschuhe, der Mann schaut ein wenig traurig und doch hingebungsvoll auf seine Partnerin. Dazu passt die beigefügte Erkenntnis: „Dein Herz gehört dir nicht mehr, dein Herz habe ich bereits an die Wissenschaft verkauft“. Und die Kunst? Die kommt bei Brillowska auch von Herzen.

Bis 6. 2., Mi – Fr 16 – 21, Sa/So 13 – 18 Uhr; Vierseithof, Am Herrenhaus 2, Luckenwalde.