Die CDU-Spendenaffäre gefährdet das politische System
: Bedrohliche Dimension

Da schau her. Auch der redliche Herr Schäuble hat also Bargeld bekommen, und zwar von einem, den er erst tags zuvor kennen gelernt hatte. Gedacht hat er sich dabei nichts. Jahre später ist er dann über rechtswidrige Finanzpraktiken seiner Partei tief erschrocken und will alles aufklären. An den Spender von einst erinnert er sich zunächst nur dunkel. Als der aber mitteilt, es gebe noch einiges zu enthüllen, da weiß Schäuble plötzlich Neues zu erzählen. Freiwillig. Das alles könnte sehr komisch sein. Ist es nicht.

Der CDU-Spendenskandal hat eine für die gesamte politische Landschaft bedrohliche Dimension angenommen. Vor den Augen einer fassungslosen Öffentlichkeit zerbröselt eine Partei, die jahrzehntelang Sammelbecken für Konservative fast jeder Schattierung gewesen ist – strukturell rund die Hälfte der deutschen Bevölkerung. Es ist eine alarmierende Vorstellung, dass Millionen sich auf die Suche nach einer neuen politischen Heimat machen, weil sie das Vertrauen in die CDU verloren haben. Die Annahme, Wahlen müssten für alle Zeiten unter hoher Beteiligung ein Nullsummenspiel zwischen demokratischen Parteien bleiben, ist ein Irrglaube.

Der Vertrauensschwund gegenüber der politischen Klasse wird sich nicht auf die CDU beschränken, zumal sich auch bei anderen Parteien finanzielle Unregelmäßigkeiten häufen. Zwar lassen sich so unterschiedliche Sachverhalte wie ein Verbotsirrtum, die persönliche Bereicherung von Einzelnen und die systematische, jahrelange Verletzung des Rechts nicht miteinander vergleichen, und die Regierungsparteien haben Recht, wenn sie sich jede Gleichsetzung mit der CDU hinsichtlich ihrer Finanzpraxis verbitten. Es genügt aber nicht, nur Recht zu haben. Es muss einem auch geglaubt werden. Umfragen zeigen, dass das Ansehen aller Parteien in den letzten Wochen großen Schaden genommen hat.

Die CDU wird es alleine nicht schaffen, diesen Trend zu stoppen. Sie verfügt dafür schon jetzt nicht mehr über die moralische Glaubwürdigkeit, und die Situation wird sich weiter zuspitzen. Der großzügige Waffenhändler Karlheinz Schreiber hat von Kanada aus wissen lassen, dass es immer noch vieles zu enthüllen gibt. Wer ist als nächster dran? Der ehemalige Generalsekretär Volker Rühe? Der ehemalige parlamentarische Geschäftsführer Jürgen Rüttgers? Die CSU? Ein Rückzug des CDU-Vorsitzenden Wolfgang Schäuble aus der Politik wäre kein Befreiungsschlag, solange weiterhin unklar ist, wer am Ende in der Union überhaupt übrig bleiben wird, um die Scherben zusammenzukehren.

Die Spendenaffäre der CDU gefährdet das bislang stets hohe Maß an öffentlicher Zustimmung zum politischen System insgesamt. Das liegt auch daran, dass sich die politische Führungsspitze seit Jahren parteiübergreifend jeder Kritik an Auswüchsen des Parteienstaates verschließt. Die Verfassung weist Parteien lediglich den Auftrag zu, an der politischen Willensbildung mitzuwirken. Die Verfassungswirklichkeit sieht anders aus. Es gibt keine politische Institution, die dem Einfluss der Parteien entzogen ist – also auch keine, die diese von außen zu Schritten zwingen könnten, die sie selbst nicht wünschen.

Wenn die etablierten Parteien sich nicht allesamt das Wasser abgraben wollen, dann müssen sie ein gemeinsames Signal setzen. Das von Altbundeskanzler Helmut Schmidt und anderen geforderte grundsätzliche Verbot von Unternehmensspenden wäre dafür gut geeignet – und es diente dem Ziel der politischen Chancengleichheit. Die Aussichten dafür sind schlecht. Hinsichtlich ihres Ziels der Besitzstandswahrung unterscheiden sich Parteien nicht von anderen Organisationen. Alles deutet darauf hin, dass die politischen Rivalen der CDU im Augenblick lieber ihren kurzfristigen Vorteil nutzen als die langfristigen Folgen bedenken wollen.

Diese Haltung wird dadurch befördert, dass Mitglieder der CDU-Spitze unsägliche Rechtsauffassungen vertreten, die auf keinerlei Unrechtsbewusstsein schließen lassen. CDU-Generalsekretärin Angela Merkel sagt im Fernsehen treuherzig, Ehrlichkeit dürfe nicht bestraft werden. Der Jurist Wolfgang Schäuble meint in der Süddeutschen Zeitung, ein Rechtsverstoß werde durch Aufklärung geheilt. Das dürften alle gerne hören, die unter dem Verdacht stehen, Gesetze übertreten zu haben. Bettina Gaus