Das Debakel des makellosen Aufklärers

Nach seinem Spenden-Geständnis versucht der CDU-Vorsitzende Wolfgang Schäuble verzweifelt, seinen Kopf zu retten. Noch kann er auf seine Partei zählen. Aber wie lange?

Wolfgang Schäuble liegt seit einer Weile etwas auf der Seele. Bis Montagabend, 20 Uhr, ist das allerdings niemandem aufgefallen. Erst im Rückblick, im Widerschein des Fernseh-Geständnisses von Wolfgang Schäuble in der Sendung „Farbe bekennen“, werden einige Andeutungen des CDU-Vorsitzenden verständlich.

Selbst für einen Christdemokraten hatte Schäuble in den letzten Tagen ungewöhnlich oft Überlegungen zu Schuld, Moral und menschlicher Fehlbarkeit in seine Auftritte einfließen lassen. Am Samstag etwa warnte er auf der CDU-Klausurtagung in Norderstedt vor „Pharisäertum“, vor einem „Überschuss an moralischer Kraft“ beim Umgang mit den Verfehlungen seines Vorgängers Helmut Kohl. Am Sonntag dann sprach er von der „Einsicht“, dass „alle Menschen irgendwann einmal in der Gefahr sind, sich nicht an alle Vorschriften zu halten“. Der selbst ernannte Chefaufklärer urteilte milde: „Die Demokratie beruht auf dem Prinzip, dass wir allzumal Sünder sind.“

Wolfgang Schäuble, scheint es, hat vorgebaut. Hat versucht, das Urteil der Partei, ihrer Wähler und der Öffentlichkeit abzumildern, so gut es nur geht. Er muss gewusst haben, dass er, der Aufklärer, nach seinem Geständnis als Trickser dasteht. Als einer, der Geld in das System der schwarzen Kassen Helmut Kohls gelenkt hat. Politisch erfahren wie er ist, konnte er sich die Kommentare selbst zusammenreimen: „Die Ära Kohl ist zu Ende, und eine Ära Schäuble wird es nicht geben.“

Doch er hat sich nichts anmerken lassen. Noch zu Beginn seines Fernsehauftritts am Montagabend, als ihn zwei ARD-Journalisten eine viertel Stunde lang befragten, schien es ihm nur um den Schutz von Helmut Kohl zu gehen.

Immer wieder war er von Kohlianern des mangelnden Einsatzes für den Ehrenvorsitzenden geziehen worden. Er sei überhaupt nicht dafür, begann Schäuble, „dass man sagt, da war einer, und alle anderen haben nichts gewusst“. Kurz darauf flatterten seine Augenlider und der CDU-Vorsitzende erleichterte sein Herz: Nicht nur Kohl, auch er hatte Bargeld angenommen.

Der Spender war ebenjener Herr Schreiber, dessen Million an den Ex-Schatzmeister der CDU, Walther Leisler Kiep, die Spendenaffäre auslöste. Fast beiläufig erzählt er die Episode. Man muss nicht besonders boshaft sein, die Beiläufigkeit für kalkuliert zu halten. Einen prächtigen Schauspieler gibt er ab, der Herr Dr. jur. Wolfgang Schäuble. Mimt den zerstreuten Professor und erzählt von einem Vorgang, der ihn den Kopf kosten kann, als handele es sich nur um die Illustration für seine eigentliche Botschaft: Dass nämlich „wir alle“ in der CDU-Führung „auch ein Stück Mitverantwortung“ trügen. Dass es sich bei der Barspende um hunderttausend Mark handelt, erzählt er erst auf Nachfrage und mit wegwerfender Geste.

Die Episode verdient es, ausführlich geschildert zu werden. Denn wenn etwas den aspirierenden Staatsmann Wolfgang Schäuble noch retten kann, dann dies: seine Fähigkeit zum Staatsschauspieler. Die gespielte Naivität des CDU-Vorsitzenden wird zum Dreh- und Angelpunkt der Verteidigung durch seine Getreuen. Generalsekretärin Angela Merkel ist als Erste auf den Bildschirmen und präsentiert die Entlastungsstrategie. Wie alle guten Strategien ist sie knapp und dementsprechend einfach zu verstehen: Schuldhaft hat nicht der Parteivorsitzende gehandelt, sondern die Schatzmeisterin. Sie, nicht er, hat die Spende falsch verbucht und sie damit zu Schwarzgeld gemacht. So weit das erste Argument. Das zweite ist noch schlichter: „Ehrlichkeit darf man nicht bestrafen“, sagt Merkel gleich nach Schäubles Auftritt, und die Formel wird sich durch den Tag ziehen. Auf seiner gestern eiligst einberufenen Pressekonferenz baut Schäuble die Strategie aus. Stets hätte die Öffentlichkeit von der CDU Aufklärung gefordert. Nun da die CDU aufklärt, suggeriert Schäuble, stehe ihr Anerkennung, nicht Kritik zu.

Einmal mehr gibt sich der Vorsitzende schlichter, als er es nach aller Erfahrung ist. Geduldig erzählt er trotz Live-Übertragung seine Schnurren aus dem Inneren des Parteiskandals. Die Verwunderung der Fragesteller wächst, Schäubles Gelassenheit auch. Wie kam es zum Beispiel, dass der angeblich abgehalfterte Ex-Schatzmeister Leisler Kiep noch 1995 die Schreiber-Spende auf ein Schwarzgeld-Konto schaffen konnte? „Mich hat das auch gewundert“, antwortet Schäuble, und sein Augenaufschlag hätte eine Nahaufnahme verdient. So lässt Schäuble mit jeder Viertelstunde, die über seine Einlassungen verstreichen, die Hauptfrage in den Hintergrund treten: Müsste der Mann nicht gehen? Der Tag, an dem die Affäre Kohl zur Affäre Schäuble wurde, ist jedenfalls nicht der letzte Tag, den Wolfgang Schäuble als Vorsitzender der CDU verbringt.

Dafür, dass Schäuble am Morgen noch der Untergang drohte, ist das eine bemerkenswerte Leistung. Offen wagt keiner aus seinen Reihen den Aufruf zum Sturz. Ihr Langmut wird freilich noch auf eine harte Probe gestellt werden. Der Kölner Politologe Karl-Rudolf Korte rechnet damit, dass Schäuble weitere Spendenzahlungen zugeben muss.

Patrik Schwarz