Poesie des Verschwindens

Den Höhepunkt der Tanzplattform Deutschland 2000 auf Kampnagel markiert der Choreograf Jo Fabian mit „Lighthouse“  ■ Von Marga Wolff

Die Nachbilder der soeben erloschenen Scheinwerfer tanzen noch vor dem inneren Auge. Vier Frauengestalten haben vor der quadratisch geviertelten Videowand Aufstellung genommen: platinblonde Perücken, knöchellange, schwarze Roben, die Gesichter bis zur Unkenntlichkeit geschminkt. Unmerklich – die Zeit schien zwischendurch still zu stehen – setzt die Bewegung ein. In gleichmäßigen, ondulierenden Schwingungen – die Füße zeichnen dabei Kreise in den Sand am Boden – spinnen die vier ihre nicht mehr abreißenden Bewegungsfäden. Zuweilen tanzen allein die Schatten.

Lighthouse nennt der Berliner Regisseur und Choreograf Jo Fabian sein jüngstes Tanzstück, das am 22. und 23. Januar den abschließenden Höhepunkt bei der „Tanzplattform Deutschland 2000“ auf Kampnagel bilden wird. In strenger Architektur hat der Schöpfer surrealer Bildwelten eine Installation um Licht und Schatten entworfen, um Original und Abbild und deren hintersinniges Abhandenkommen. Eine Poesie des Verschwindens, die gleichzeitig der Wahrnehmung umso vielfältigere Räume öffnet. Ein Theater der Sinnlichkeit und Intuition anstelle von inhaltlicher Erzählung. Gewohnte Raum-Zeit-Gefüge werden da wohl oder übel aus den Angeln gehoben.

„Wenn es nach mir ginge“, sagt der gewitzte und wortgewandte 39-Jährige, „dann würden manche Szenen drei Tage andauern, andere dagegen nur einen Augenaufschlag lang.“ Doch schließlich sei da ja noch das Publikum. Und das stellt für Fabian, wie radikal er sein hochästhetisiertes, vom Bauhaus beeinflusstes Theater der Langsamkeit auch betreibt, eine entscheidende Komponente innerhalb seines Wahrnehmungskonzeptes für die Bühne dar.

Das Publikum, und zwar das von morgen, werden auch die Besucher der „Tanzplattform Deutschland“, die nach Berlin, Frankfurt und München in diesem Jahr vom 19. bis 23. Januar in Hamburg stattfindet, im Visier haben. Denn was 1994 als Vorauswahl für den renommierten Wettbewerb „Recontres choréographiques Internationales de Seine-Saint-Denis“ in Bagnolet bei Paris begann, hat sich zu einer Art Tanzmesse entwickelt. Hier wird das Festivalkarussell mit neuen Gesichtern bestückt, wird in internationalen Koproduktionen am globalen Tanznetzwerk geknüpft.

Insgesamt 17 in Deutschland arbeitende Choreografen und Compagnien, darunter etablierte wie Amanda Miller, Wanda Golonka, Helena Waldmann, Anna Huber, Jo Fabian sowie aus Hamburg Angela Guerreiro und Jan Pusch, stellen sich einem internationalen Fach-publikum aus Veranstaltern und Journalisten vor (die meisten Vorstellungen stehen natürlich auch den „normalen“ Zuschauern offen). Tanzplattformen finden mittlerweile weltweit statt. Doch weiß Kampnageldramaturgin Sabine Gehm: „Hamburg ist nicht nur eine der größten Plattformen, der zeitgnössische Tanz in der Bundesrepublik stößt international auf zunehmendes Interesse.“

Jo Fabian, der kürzlich den 3. Produzentenpreis für Choreografie verliehen bekam, ist übrigens der einzige hier, der aus der ehemaligen DDR stammt. Nach einem Schauspielstudium in Rostock begann er bereits 1984, eigene Stücke an Stadttheatern zu inszenieren, und gründete 1989 das heute unter dem Namen DEPARTMENT/fabian dept. bekannte Ensemble. Die Trilogie Vaterlandskomplex, deren Teile Whiskey & Flags und Keine Gnade zum Berliner Theatertreffen eingeladen wurden, brachte 1993 den Durchbruch. Jetzt hat Fabian das „Alphasystem“ erfunden und forscht an einer Entsprechung von Sprache und Bewegung. Buchstaben, Wörter, Sätze werden in Bewegungsphrasen überführt. Nach Blown Away geht in Lighthouse die Erprobungsphase in die zweite Runde – ein choreografisches Werkzeug, mit dem er dem Tanz zwar nicht lesbare Bedeutung, dem Körper aber die Ordnung der Sprache einverleiben will.

Mi, 19., bis So, 23. Januar, Kampnagel, Karten und Programm unter % 27 09 49 49, www.kampnagel.de oder tickets§kampnagel.de