Einäugige Amazonen der Avantgarde

■ Foto-Kino: Eine zweiteilige Veranstaltungsreihe im Metropolis zeigt feministische Experimentalfilme

Film und Fotografie: Von den beiden großen Reproduktionsverfahren des technischen Zeitalters sagen die gängigen Geschichtsschreibungen, sie hätten zu Beginn des Jahrhunderts im Bruchteil einer Sekunde die anderen Künste in die Freiheit der Abstraktion entlassen. Denn realistischer konnten deren Abbildungen kaum mehr sein. Doch ihr Verhältnis ist weitaus komplizierter; und denkt man sich die technischen Bilder als allein exakte, weist man eine ganze Subgeschichte des Films von der Hand: die der Avantgarde. Das Verhältnis der drei zueinander beleuchtet nun eine Reihe im Metropolis – anhand eines Vierten: des feministischen Blicks so unterschiedlicher Frauen wie Agnès Varda, Maya Deren, Ellen Auerbach oder Silke Grossmann.

„Lichtbildkunst“ hieße Fotografie aus dem Griechischen übersetzt, von „Lichtspielhäusern“ spricht man beim Kino. Doch wo die Fotografie mittels der Wirkung von Licht Bewegung chemisch aufs Papier bannt, geht der Film genau umgekehrt vor, wirft das Bild als Licht und Bewegung wieder zurück in die Welt. Einer der sicher schönsten Filme, die mit dem paradoxen Status erstarrter Bilder im Kino spielen, stammt von der französischen Dokumentar- und Essayfilmerin Agnès Varda, neben Chris Marker, Robbet-Grillet und Marguerite Duras, eine der prominentesten Vertreterinnen jener Pariser Filmavantgarde, die als „Left-Bank“ bekannt wurde, weil ihre Protagonisten sich in den Bohèmequartieren des linken Seine-Ufers angesiedelt hatten.

Ausdruck einer modernistischen Wendung aufs Medium wie Hommage an die in den 50er Jahren aus dem Boden schießenden Foto-Romane, Comic-Books und Illustrierten, montierte Varda ihren Salut les Cubains (1963) allein aus Fotografien, die sie von einem Kuba-Urlaub mitgebracht hatte. Ihr Off-Komentar sinniert assoziativ und mit liebevollem Humor über die Form der Insel wie über die Bart- und Hutmoden der Revolutionäre, über Architektur genauso wie über die als son propagierte Agrarreform. Politisch hält sie es mit Emma Goldmann: Nur eine Revolution bei der man auch tanzen kann, sei es wert, gemacht zu werden, lautete eines der Bonmonts der amerikanischen Anarchistin. Und so tanzt auch bei Varda am Ende die Revolution – einen Rumba: durch Kurzschnitte, Überblendungen und andere virtuose Tricks aus dem Taschenspieler-Repertoire der Filmgeschichte, mit denen sie den Momentaufnahmen den Anschein von Bewegung gibt.

Ungleich ernster dagegen erzählt sich Maya Derens Klassiker Meshes of the Afternoon (1943) als surreal-erotische Phantasie von Traumhandlungen deren kühn rhythmisierte, repetitive Schnitttechnik auch im MTV-Zeitalter noch zu verblüffen weiß. Weil Deren ihre Filme nicht in Paris oder Berlin, sondern in Hollywood drehte, musste sie Kinos oft selbst anmieten, um ihre Filme überhaupt zur Aufführung zu bringen. Heute gilt sie deshalb als Wegbereiterin des (feministischen) counter-cinemas. Genauso beweisen Derens Filme, wie die ihrer Zeitgenossinnen oder Nachfolgerinnen, dass der Experimentalfilm entgegen seines Rufs auch eine höchst sinnliche Angelegenheit sein kann. Denn das Auge sieht ja schließlich mit. Und das ist als Einladung zu verstehen. Tobias Nagl

Amazonen und Avantgarde: Teil 1: heute, Teil 2: Do 20.1., jeweils 21.15 Uhr, Metropolis, Einführungen: Thomas Tode