Hundert Zeilen Hass
: Der Ich-als-Rockmusiker-Mann

■ Bei einer Podiumsdiskussion zum Thema Künstlerförderung in der Städtischen Galerie im Buntentor outete sich der oberste Kulturbeamte Strömer als bekennender Kulturbanause, und der sanfte Herr Kulenkampff wittert „Revolution“

Als alles vorbei war, sagte Rose Pfister von der Städtischen Galerie: „Ich kann es noch gar nicht glauben, was ich da gehört habe.“ Was sie gehört hat? Geduld, erst mal von vorn, von ganz vorn. Es war einmal vor langer Zeit, da wurde für den Thron des Kulturressort eine Maid auserkoren, die nicht gequält wurde von einem harten Ding namens Rückgrat. Man konnte ihr gar manches vorwerfen, eines aber nicht: eine unnötige Begeisterung für Kultur oder so Quatsch. Die unter ihr eingeleitete so genannte Privatisierung ließ sich nur durchsetzen mit Versprechen wie Planungssicherheit und weitgehende Bestandsbewahrung. Nichts als Lug, Betrug und krasse Niedertracht, was man ihr heute um die Ohren hauen würde; wenn, ja wenn es sie noch geben würde. Also musste sie weg. Als Neubesetzung mit weißer Weste leistete man sich einen Mann, von dem gar liebliche Worte nachzulesen sind, über die Wichtigkeit lebendiger Basiskultur und gegen einseitige Förderung von Prestigekultur – zum Beispiel im taz-Archiv. Doch zum Glück muss auch Bernt Schulte seinen Worten keine Taten folgen lassen. Denn er kann sich einreden, nichts tun zu können; schließlich hat unter seiner Vorgängerin die Kulturpolitik sich selbst abgeschafft, mit den kulturellen Einrichtungen auch gleich die Verantwortung mitprivatisiert. Etwaige Schuldfragen sind wegrationalisiert, uff. Am Ende ist alles tot, und keiner war's. Etwa wenn bei GAK und Städtischer Galerie angedacht wird: Aus zwei mach eins.

Natürlich war Bernt Schulte geladen zur wichtigen Podiumsdiskussion des Berufsverbands Bildender Künstler (bbk) in der Städtischen Galerie im Buntentor, wo zum allerersten Mal nach der „Wende“ die Situation in der Bildenden Kunst thematisiert wurde – und kam NICHT. Nicht kam Carmen Emigholz. Nicht kam Helga Trüpel. Nicht kam Elisabeth Motschmann. Also all jene, die auf dieser Kulturseite warmherzig beteuerten, dass man die Teilabschaffung der Künstler keineswegs einfach so vollziehen will, lieblos und nüchtern, oh nein, sondern nur im lebendigen, konstruktiven Gespräch mit jenen Abzuschaffenden, mit ihrer eigenen Einwilligung also.

Aber warum sollten die Kulturpolitiker auch jetzt noch mit Künstlern reden. Wo sie doch längst ihren Watschenmann, Punchingball und willigen Vollstrecker, wie das Goldhagen vielleicht sagen würde, nach vorne schi-cken. Und der heißt Strömer. Eigentlich. Doch Moderator Eberhard Kulenkampff stolperte bei dessen Vorstellung: „... und dann ist da noch Herr Störer, äh, Herr Stürmer...“ Und einigen der aufgebrachten KünstlerInnen war es dann partout nicht mehr aus dem Unterbewussten auszutreiben, dieses „Stürmer“, frei nach einer gewissen Wochenzeitung, die auf die Vernichtung von Schmarotzern am gesunden Volkskörper spezialisiert war und witzigerweise publiziert wurde von einem Herrn mit dem schönen Namen Streicher, wie durchstreichen. (Freud hätte seine Freude.)

Das erste was Reinhard Strömer kundtat war natürlich sein obligatorisches Ich-war's-nicht. Als klitzekleinen „Mitarbeiter der Verwaltung“ kann ihn die Schuld am Sparen nicht treffen. Wissen wir doch schon: Niemand ist es niemals nirgends – gute, deutsche Tradition. Vielleicht war's ja die kleine weiße Wolke, draußen über der Weser. Als zweites gestand Strömer, von der Bremer Kulturszene wenig Ahnung zu haben. Nach acht Monaten Bremen! Wie kommt ein Mensch mit einem Einarbeitungseifer, den sich heute keine Zahnarzthelferin leisten kann, an so einen Posten? Ist es sein Arbeitseifer? HfK-Boss Jürgen Waller würde das wohl bestreiten. Denn auf seine Anfrage wegen einer 40.000-Mark-Förderung eines umfangreichen Ausstellungs-Tausches mit der Partnerstadt Marseille, erhielt er von Strömer nie eine Antwort, nichts, nicht mal eine abschlägige. Ist es sein Charis-ma? Eher nicht. Nach der Diskussion klagte eine Künstlerin: „Warum ist dieser Mann nicht Bankangestellter geworden?“ Sind es moderierende Qualitäten? Oh no. Schließlich hat es Strömer in bemerkenswerter Eile geschafft, zum meistgehassten Menschen der Stadt zu avancieren und wird als Todfeind erkannt selbst von Menschen, die einst in die Annalen der Bremer Kulturgeschichte eingingen mit Sätzen wie „Auch Künstler können mal unter Brücken schlafen“. Die eigentliche Leistung, die er unserer tollen Leistungsgesellschaft anzubieten hat, ist nichts als die rechte Überzeugung. Seine „Meine-Fantasie-von-Kulturförderung“ ist institutionalisierte Fantasielosigkeit. Stellte Kulenkampff an den Beginn der Diskussion ein ausdifferziertes Bündel von Fördermöglichkeiten, so kennt Strömer nur eine einzige. „Künstler sind in ihrer Ausbildung zu fördern, also an den Kunsthochschulen, UND DANN IST SCHLUSS.“ Das ist für ihn vielleicht so wie mit jungen Hunden. Schwimmen sie, ist's recht, gehen sie unter, ist's auch recht. Strömers Begründung: Er als Rockmusiker mit echt-authentischer Englanderfahrung weiß, dass Kunst, also Rockmusik, auch ohne Staatsgelder gedeiht. Am besten wäre es dann wohl beim hier und heute herrschenden Mehrheitsgeschmack, wenn Bildende KünstlerInnen nicht älter als 19 Jahre werden, doof wie Olli P. glotzen, nichts als „Hey, hey, baby, hey“ verkünden und sexy Hintern hätten. Doch mal unter uns, die Hintern der BremerInnen... oje. Und Strömers Begründungs-Katastrophen gehen weiter: Künstlerförderung heißt auch „eine Art Macht auszuüben“, muss also aus „demokratietheoretischen Gründen“ abgelehnt werden. Schließlich hatten wir schon mal „zwei deutsche Staaten“, die „Kunst missbrauchten“. Schließen der GAK-Räumlichkeiten also, damit es keinen Hitler und Honecker mehr gibt? Suuuuper Demokratieverständnis. Eigentlich haben wir Politiker genau zu dem Zwecke gewählt, damit sie Kunst, Bildung und Bahnfahrt (sind auch die letzten beiden bei Staatssubventionen potenziell faschistisch?) zu unser aller Wohlgefallen organisieren; nicht gewählt haben wir sie hingegen, damit sie ihr eigenes Nichtstun organisieren und von ihren Knechten legitimieren lassen. Statt Staatsknete will Strömer „Bürgerengagement“, und meint damit zum Beispiel, dass man für seine Nike-Turnschuhe 40 Mark zuviel zahlt, wovon dann wiederum die Firma Nike irgendeine Repräsentationskunstkacke einkauft, um dann von uns Idioten ein Dankeschön-oh-du-öödeler-Spender einzuheimsen. Besonders schönes Beispiel für das Orwellsche Doppeldenk und Doppelsprech: Kunstarbeiter auf die Straße setzen, heißt von heute an „die Kultur vom Staat zu BEFREIEN.“ Mit humanistisch-liberalen Formeln wird wohl bald die uralte sturköpfige Stammtisch-Auffassung von Kultur (Musikantenstadl, Rolling Stones, Beethoven und dann gut) durchgeboxt, und dann auch noch behauptet, das sei echt cool und Zeitgeist. Und das ist wirklich erschreckend zeitgeistig. Dass es in der Tat gar nicht nur ums Geld geht, mutmaßt einer der Künstler – ein böser Verdacht. Schließlich sind die einsparbaren Beträge gering, „Peanuts“. Denn die Katalog-Bezuschussung pro Jahr (!), und dies ist nur ein Beispiel unter vielen, wurde längst von 50.000 auf 15.000 Mark gekürzt. Da sind höchstens nochmal 5.000 abzuzocken.

Hans Wilhelm Sotrop, Vorsitzender des Bundes-bbk: „Ich wundere mich, wie die anwesenden Künstlerinnen da so ruhig bleiben können.“ Sie blieben es nicht lange. „Die Zeiten für FDP-Politik sind eigentlich vorbei.“ „Bürgermitspracherecht, das finde ich am allerschlimmsten.“ Hans-Joachim Manske von der Städtischen Galerie bemühte sich redlich, Herrn Strömer zu erklären, dass auch Dome und das Bremer Rathaus sich marktwirtschaftlich kaum gerechnet hätten. Und was hätten Hölderlin, Beethoven und andere, die am fürstlichen Nabel hingen, wohl gesagt zum Erfüllen von „Kennzahlen“ und „operationalierbaren Leitbildern“? Auch den ewigen Mythos vom schlanken Staat Amerika muss Manske widerlegen, mal wieder. Sotrop zum Trojanischen Pferd in Bremens Kulturverwaltung: „Man sollte ihn so schnell wie möglich wieder loswerden.“ Und Kulenkampffs Schlussresumé: „Die Stimmung schmeckt nach revolutionärem Aufstand.“ Barbara Kern