Herrn Burkes Samensäckchen

Australien sieht fern – und bastelt millionenfach Papiergärten

Das ist das Ende der Welt. Es kann nur an Jahrhunderten des Inzests liegen. Oder an den Klettverschlüssen. Auf jeden Fall reißen hunderttausende Australier Don Burke sein „Burke’s Backyard Landscaping Kit“ aus den Händen. Das ist bunte Pappe mit Büschen, Bäumen, Wegen und Gartenhäusern drauf. Die kann man ausschneiden und auf dem „Burke’s Backyard Landscaping Kit“-Millimeterpapier herumschieben, bis es nach Traumgarten aussieht.

Festgeschnallt an ihren Stühlen, damit sie nicht von der Erde fallen, vor den nachts wütenden Beuteltieren durch massive Holzwände geschützt, hocken Australiens Familien Abend für Abend um den Esstisch und spielen mit Don Burkes Gartenbausatz. Don ist ein netter Kerl, der Karohemd, Vollbart und Schlabberhosen trägt, ein Peter Lustig mit Thomas Gottschalks Einschaltquoten.

Freitagabends, zwischen der Welt des Sports, die aus Cricket besteht, und der Ziehung der Lottozahlen, erklärt Don, wie man den Garten vom Millimeterpapier vors Haus bekommt – seit zwölf Jahren.

Man muss Verständnis haben. Australier sind arme Leute: Ständig Klettschuhe an, auf dass sie, am Klettboden haftend, der Schwerkraft trotzen, Blut im Kopf, weil sie von der anderen Weltseite herunterhängen, und Papa flennt, wenn wieder mal einige seiner wurzelschwachen Pflanzen gen Himmel fallen.

Burke’s Backyard-T-Shirt trocknet dann die Tränen. „All my plants died...“, steht vorne drauf, „until I found Burke’s Backyard“ hinten. Ein Schmunzeln flackert sogleich übers noch tränenfeuchte Gesicht, dann schiebt man eine von Burkes Videokassetten ein. Da wird ein Badezimmer zum tropischen Garten, testet Herr Burke arabische Pferde („Temperament: spirited, intelligent; Cost: riding quality $ 900 to $ 2.500, breeding quality $ 2.000 to $ 35.000; Lifespan: 25–27 years“) oder Hündchen verschiedener Welpenfarmen auf ihre Familientauglichkeit. Und wer es sich nicht leisten kann, dass arabische Pferde zwischen seinen Farmwelpen vorm Badezimmergartenfenster rumtoben, tröstet sich mit „Burke’s Backyard fact sheets“. Die kann man nach der Fernsehsendung bestellen. Haben Australier auch über zwei Millionen mal gemacht bisher.

Am besten ging das „Italian tomato fact sheet“, 100.000 Mal – mit kostenlosen Samen! Wenn man schon recht weit weg vom Rest von den Fußsohlen des Globus herabbaumelt, mit niemandem vernünftig sprechen kann, weil nach ein paar Generationen auf einer Insel jeder mit jedem verwandt ist, will man wenigstens italienische Tomaten essen.

Ein kleiner Hauch Welt umweht die Gärtnernase in Burkes Samensäckchen. Dann ist die Pein draußen im Outback vergessen, wo everybody nur eine Stunde täglich angerufen werden kann. Für jeden ein paar Kilometer Telefonmasten sind zu teuer, der Telefonmann mit Riesenlaster und Kabeltrommel fährt nur ab und zu von Farm zu Farm zu Farm zu Farm.

Aber Tomaten! Italienische! Linderung suchend streift der Hausmann mit „Burke’s Backyard Gardener’s Soil pH Test Kit“ durch die Ödnis, ohne die Orientierung zu verlieren – dank „Burke’s Backyard Gardener’s Keyring“ mit Kompass, Sonnenstärkemesser, Thermometer in Celsius und Fahrenheit.

Dergestalt wird auch das Tomaten-Plätzchen gefunden, die Erde zärtlich beiseite gestrichen und der Samen gesät. Und ist eine lange, lange Woche später der Keimling verdorrt oder vom Erdende gefallen, grinst Burke am Freitagabend beruhigend zwischen Cricket und Lotto hervor.

Stolz verkündet er, in den letzten zehn Jahren 1,2 Millionen Kilometer für seine Show gereist zu sein – und das bestimmt nicht in Australien. Wer da Tomaten züchtet, ist selbst Schuld.

Konrad Lischka