Kolumne
: Der Revolution zweiter Teil

Als das Magazin Wired vor fünf Jahren seine Experten fragte, wann der interaktive Fernseher unsere Haushalte erobert haben werde, war die Antwort beinahe einstimmig. „Niemals“ könnten das Web und das Fernsehen zu einem einzigen Medium verschmelzen, meinten die Befragten – darunter John Markoff, Reporter der New York Times und Autor des Buches „Cyberpunk“, eines Standardwerks über Hacker. Markoff wollte sogar „seinen Hut aufessen“, wenn es je dazu käme.

So kann man sich irren. Seit Anfang dieser Woche ist die Verschmelzung der beiden Medien keine futuristische Spekulation mehr, sondern der strategische Geschäftsplan des weltgrößten Medienkonzerns, der durch die Fusion des Onlinedienstes America Online und der Time-Warner-Gruppe entsteht. Eine solche Kapitalmacht kann sich nicht irren, sie schafft sich zur Not den Markt für ihre Produkte selbst, und es besteht kein Zweifel, dass in wenigen Jahren auch in Europa der Fernseher mit Internetanschluss die Haushalte erobert.

Nur kann man auch aus guten Gründen irren. Markoffs Argument gegen das Web-Fernsehen ist nicht falsch geworden. Er bezweifelte nicht die technischen Voraussetzungen, sondern ihren praktischen Nutzen. Vor den Fernseher setzen wir uns, um abzuschalten, den PC mit Netzanschluss schalten wir ein, um aktiv zu werden, sagte der Hackerspezialist. Warum also sollten wir an einem Gerät Gefallen finden, das beides nur halb ist, ein bisschen Pantoffelkino und ein bisschen Heimbüro?

Was Markoff übersah, ist die Potenz des Internets selbst. Wie wir alle kannte er es nur aus der Sicht des Computers, jener intelligenten Universalmaschine, mit der wir weltweit in einer Art kommunizieren können, die allen bisher bekannten Medien überlegen ist. Aber das Internet ist nicht auf dieses Endgerät angewiesen. AOL und Time-Warner haben beschlossen, es als globalen Vertriebsweg für ihre Produkte zu benutzen, ihre Kunden sind keine ständig interaktiven Hacker, sondern schlichte Konsumenten, die sich vor dem Fernseher entspannen wollen.

Aber auch noch in dieser vergleichsweise passiven Rolle profitieren sie jetzt vom Internet. Denn das Webfernsehen emanzipiert uns vom Diktat der Fernsehsender. Wir sind es, die Spielfilme und Bildungsangebote auswählen. Und wir schauen uns dieses eigene Programm dann an, wenn wir wollen, nicht dann, wenn es gesendet wird. Auch das ist eine Revolution; vielleicht wird sie unser Leben tiefer verändern als die Hackerrevolution, die das Internet bisher war.

Vor allem aber wird sie das Internet selbst verändern. Denn die zwei Funktionen, die Markoff unterschied, sind tatsächlich unvereinbar. Sie werden das Internet in zwei kaum noch miteinander vergleichbare Teile spalten. Wir wollen uns nicht nur von professionellen Medien unterhalten lassen, wir wollen auch selber aktiv werden, nicht nur, indem wir unsere Infotainment-Programme aus dem Menü von AOL zusammenstellen. Wir wollen selbst senden, Briefe schreiben, diskutieren oder recherchieren, all das also, wofür wir bisher den PC eingeschaltet haben. Dafür ist der Fernseher ungeeignet, aber auch der unsinnig komplizierte Computer wird bald nicht mehr nötig sein, der uns an das Heimbüro fesselt. Diese Funktionen werden an das Handy übergehen, das wir jederzeit mit uns herumtragen können. Neben dem globalen Vertriebskanal für Medienprodukte wird erst damit das Internet zum globalen, aber privaten Kommunikationsnetz, in dem wir jederzeit erreichbar sind.

Es gibt nur zwei Verlierer dieser zweiten Revolution: die Webdesigner und Microsoft. Beide werden überflüssig. Die krampfhaft mit Animationen und Werbung voll gestopften Webseiten sind im privaten Netz der Handys sinnlos, und was uns die Medienkonzerne über das kommerzielle Internet auf den Ferseher schicken, wird diesen Kindereien meilenweit voraus sein. Und mit dem Ende des PC endet auch das Monopol für das Betriebssystem Windows. Von Bill Gates ist der Satz überliefert, der größte Fehler seines Lebens sei es, AOL nicht gekauft zu haben, als der Onlinedienst vor drei Jahren in der Krise steckte. Und wo Bill Gates Recht hat, hat er Recht.

Niklaus Hablützel

niklaus@taz.de