Von Fall zu Fall zu Fall

Nach seinem Eingeständnis ist CDU-Chef Schäuble für viele Parteifreunde „verbrannt“. Seine Verstrickung in das System Kohl gilt intern als ausgemachte Sache. Öffentlich wird weiter Treue geschworen ■ Von Karin Nink

Berlin (taz) – Bei Christdemokratens geht es zur Zeit zu wie im Theater: Vorne, auf der Bühne, spielt das Stück „Aufklärung“. Hinter den Kulissen aber rumort es so laut, dass es auch im Zuschauerraum nicht mehr zu überhören ist. Da haben die Darsteller Angst um ihre Rollen. Da wird intrigiert. Da geht es ums politische Überleben.

Der Hauptdarsteller der Inszenierung, Wolfgang Schäuble, auf dem so viele Hoffnungen ruhten, hat Anfang der Woche eine ganz schlechte Darbietung geliefert. Seit er zugegeben hat, dass auch er von dem Waffenhändler Schreiber 100.000 Mark in bar angenommen hat, über deren Verbleib letztlich noch Unklarheit besteht, ist er angeschlagen. Hinter den Kulissen wird offen geredet: „Es geht nicht mehr mit ihm weiter, und es geht nicht mehr ohne ihn weiter“, sagt einer, der Schäuble lange unterstützt hat. Mit seinem Eingeständnis sei Schäuble „verbrannt“, meint der Bundestagsabgeordnete. „Das ist wie bei manchen Unfallopfern, da nutzen alle Schönheitsoperationen nichts mehr.“

Auf der Bühne aber betont etwa der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Friedrich Merz: „In diesen schwierigen Zeiten des Übergangs von Regierung zur Opposition und von Alt zu Jung können wir uns keinen besseren Parteivorsitzenden wünschen.“ Dabei ist das, was viele befürchtet haben, letztlich mit dem „Fall Schäuble“ nun zur bitteren Wahrheit geworden: „Es war unmöglich, im Umfeld von Kohl sauber zu bleiben.“

In der Konsequenz heißt das, dass sich die Christdemokraten auf weitere Enthüllungen werden einstellen können. „Das hoffe ich zwar nicht, aber ich kann das auch nicht ausschließen“, sagt eine CDU-Frau. „Das wäre ja noch mehr als unrealistisch.“

In der Tat. Denn wieso kann ein Schäuble angeblich unbekannter Herr Schreiber so mir nichts, dir nichts mal eben ins Büro des CDU-Fraktionsvorsitzenden spazieren, nachdem er ihn bei einem Essen am Vorabend kennen gelernt hat? „Das geht nur, weil Schäuble genau wusste, mit wem er es zu tun hatte“, glaubt einer. Schreiber sei in eingeweihten Kreisen der CDU kein Unbekannter gewesen. Schließlich war er ein Intimus von Franz Josef Strauß, und die Kontakte reichten weit in die 80er-Jahre zurück. Damals war Schäuble Kanzleramtsminister. „Wenn es da bei der Bundesregierung Interessen zu vertreten galt, kann das kaum an dem damaligen Minister Schäuble vorbeigegangen sein“, glaubt der Politiker.

Ein anderer meint resigniert: „Es gab in der CDU eben keine Karriere gegen Kohl.“ Erst recht nicht bei Schäuble. Man müsse davon ausgehen, dass Schäuble auf Druck von Kohl ausgepackt hat. Dem Alten, der Schäubles Geheimnis wohl kannte, sei der ehemalige Kronprinz mit seiner andauernden Forderung nach der Nennung der anonymen Spender zu vorlaut geworden.

Die öffentliche und wahrscheinlich lancierte Diskussion um seine Ablösung an der Parteispitze durch Jürgen Rüttgers am vorigen Wochenende tat ein Übriges. Schäuble trat die Flucht nach vorne an, weil er fürchtete, dass Kohl ihn wirklich würde hochgehen lassen. Wer wird sich noch alles via Fernsehstudio outen müssen, fragt man sich unsicher in der Union.

Schäuble ist Kohl vielleicht zuvorgekommen, doch was er nicht mehr hat verhindern können, ist die Diskussion um seine Person. „Die ist schon da“, sagt eine Christdemokratin. Aber „so richtig schlimm“ werde es erst, wenn sie öffentlich geführt werde und Leute wie das „Kohl-Söhnchen“ Jürgen Rüttgers sich Chancen ausrechnen könnten.

Der Zeitpunkt scheint nicht mehr fern: Der Bremer CDU-Fraktionsvorsitzende Jens Eckhoff hat Schäuble „amateurhaftes Handeln“ in der Spendenaffäre vorgeworfen und fände es „generell gut“, wenn mehrere Kandidaten zur Wahl des Vorsitzenden im April antreten würden. Eine Neubesetzung zur nächsten Spielzeit ist nicht mehr ausgeschlossen.