„Damit man sieht, was das grüne Original ist“

Renate Künast, die Fraktionsvorsitzende der Berliner Grünen, kandidiert als Bundesvorstandssprecherin. Sie hält eine Erneuerung der Partei für dringend notwendig

taz: Frau Künast, tut Ihnen Antje Radcke nicht Leid?

Renate Künast: Ich respektiere und schätze sie.

Bei den Grünen waren Gegenkandidaturen für den Parteivorsitz bisher nicht üblich.

Ich werfe meinen Hut in den Ring, weil ich der ewigen Gerüchteküche um mich ein Ende bereiten will. Der Weg für die Bekanntgabe meiner Kandidatur war frei, nachdem der Bundesvorstand einen Antrag für die Trennung von Parteiamt und Parlamentsmandat vorgelegt hat.

Was reizt Sie daran, sich auf diesen schwierigen Posten zu bewerben? Es gibt wenig Macht und viel Verantwortung . . .

. . . und viel zu tun. Die Grünen müssen sich erneuern. Das heißt nicht, dass sie ihren politischen Standort verändern müssen, aber sie müssen auf der Basis der alten grünen Prinzipien neue Antworten auf neue Fragen finden. Darin kann die Stärke der Grünen liegen, vorzudenken und Tabubrecherin zu sein. Ich habe Lust dazu, das mit der Partei anzupacken.

Wo ist eine inhaltliche Erneuerung notwendig?

In der Dienstleistungsgesellschaft funktionieren Bildung und Ausbildung anders. Die Institutionen müssen sich anderen Arbeitsformen öffnen. Wir müssen lebenslanges Lernen vermitteln. Wir müssen die reduzierte Arbeit zeitlich anders verteilen.

Das sind Fragen, für die wir immer gut waren, weil wir uns nicht an die Wirtschaft und ihr Wohlwollen gebunden fühlten. Außerdem müssen die Grünen in der nächsten Zeit junge Menschen für sich gewinnen. Die Partei muss sich öffnen.

Was glauben Sie als Bundesvorstandssprecherin besser machen zu können als die jetzige Doppelspitze?

Niemand wird mir eine Bewertung des jetzigen Bundesvorstandes entlocken.

Was bringen Sie persönlich ein?

Meine Erfahrungen aus Berlin, einer Großstadt, in der Ost und West vereint sind, einer Stadt, in der das Thema Integration von Einwanderern ganz vorn ansteht, einer Stadt, die den Wandel zur Dienstleistungsgesellschaft organisieren muss. Das sind Themen, die ich als Fraktionschefin und Abgeordnete hautnah erlebe und an denen wir in Berlin arbeiten.

Sie haben immer kritisiert, dass die Grünen seit der Regierungsbeteiligung noch nicht zum richtigen Rollenspiel gefunden haben zwischen Regierungsmitgliedern, Fraktion und Partei. Was müsste verbessert werden?

Die Partei hat nicht nur die Aufgabe, zu schauen, ob grünes Regierungshandeln dem grünen Programm entspricht, sondern sie hat auch die Pflicht, vorzudenken, weit über das alte Wahlprogramm hinaus, weit über die Koalitionsvereinbarung hinaus. Damit man sieht, was das grüne Original ist. Das wird eine der Aufgaben in der nächsten Zeit sein.

Werden Sie den Fraktionsvorsitz im Fall Ihrer Wahl aufgeben?

Das werde ich entscheiden, wenn es so weit ist.

Interview: Dorothee Winden