Bloß nicht zu laut freuen über den alten Heimkehrer

Chilenische Politiker sämtlich zufrieden mit Attest der Briten, Menschenrechtler nicht

Aufregung in der noblen Villa der Pinochet-Stiftung in Santiago de Chile. Sämtliche Mitarbeiter brüllen durcheinander, es geht drunter und drüber. Berge von Papieren werden verteilt, kopiert und schnell durch das Fax geschoben. Permanent klingelt das Telefon, der Hörer wird schnell abgenommen und neben den Apparat gelegt, bis jemand antworten kann. „Ja, wir sind zufrieden, aber wir feiern keinen Triumph“, lautet die Standardantwort.

Seit die Nachricht aus London kam, dass der 84-jährige Augusto Pinochet von britischen Ärzten für verhandlungsunfähig erklärt worden ist, herrscht Chaos bei seinen Gesinnungskameraden. Alle sind von dem britischen Gutachten überrascht, obwohl seit dem Wochenende Gerüchte die Runde machten, dass die von den Briten beauftragen Ärzte Pinochet krankschreiben würden.

Zwar hatte die Stiftung ein solches Attest erwartet, doch sie reagiert erst einmal vorsichtig. Zu oft hatte man während des Auslieferungsverfahrens in diesem militärischen Traditionsklub die Sektkorken knallen lassen – um dann am nächsten Morgen mit einem fürchterlichen Kater zu erwachen. Daher hält sich Luis Cortez Villa, stellvertretender Chef der Pinochet-Stiftung, mit Kommentaren zurück. Ohne jegliche Regung erklärt der ehemalige Militär: „Ich hoffe nur, dass Pinochet jetzt wirklich zurück nach Chile kommt.“

Der Ex-Vizekommandant der Streitkräfte, Rafael Villaroel, hofft ebenfalls, „dass die Entscheidung jetzt definitiv ist“. Eine Rückkehr Pinochets nach Chile wäre für den General „die beste Form, das Jahr 2000 zu beginnen“.

Verbitterung herrscht hingegen am anderen Ende der Stadt. Die Organisation der Angehörigen der Verschwundenen und Festgenommenen der Diktatur traf die Nachricht aus London wie ein Schock. Ihre Präsidentin Viviana Diaz sagte im Fernsehen: „Wir dachten, dass Pinochet ganz sicher nach Spanien ausgeliefert wird und sich für seine Verbrechen wie Folter, Entführung und Mord verantworten muss.“ Das Argument, dass Pinochet auch daheim der Prozess gemacht werden könnte, lässt sie nicht gelten. In Chile ist noch immer ein Amnestiegesetz in Kraft, das die Verfolgung der Verbrechen der Diktatur ausschließt.

„Das Wichtige ist aber, dass Verbrechen gegen die Menschheit nicht unbestraft bleiben dürfen“, so Diaz. Dass ausgerechnet Pinochet wegen seines schlechten Gesundheitszustandes davonkommen soll, ist für Diaz absurd. „Er selbst hat die Rechte anderer Menschen mit Füßen getreten, sogar schwangere Frauen hat er ermorden lassen. Sein Gesundheitszustand darf keine Rolle spielen. Natürlich hat er ein Recht darauf, dass alle Ärzte der Welt ihm zur Seite stehen, aber er muss vor Gericht gestellt werden.“

Im Regierungspalast La Moneda begnügte sich die Regierung mit einem kurzen Statement. Darin zeigt sie sich vorsichtig zufrieden mit dem britischen Vorgehen. Außenminister Juan Valdes erklärte: „Es ist so, dass Pinochet nicht in der Lage wäre, einen Prozess in London durchzustehen.“ In jedem Falle, versichert die Regierung in ihrem Kommunikee, werde sie die endgültige Entscheidung der britischen Regierung abwarten und respektieren.

Die mitregierenden Sozialisten stecken derweil in der Klemme: Freuen sie sich zu laut über Pinochets vermutliche Freilassung, hat ihr Kandidat Ricardo Lagos bei der zweiten Runde der Präsidentschaftswahlen am kommenden Sonntag noch weniger Chancen, die Stimmen der gesamten Linken auf sich zu vereinen. Die aber braucht er, um gegen den Rechtskandidaten Joaquín Lavin eine Chance zu haben.

Ingo Malcher, Buenos Aires