Kommentar
: Politisch erledigt ■ Pinochet hat auch ohne Verurteilung endgültig verloren

Wenn Augusto Pinochet als freier Mann nach Chile zurückfliegen darf, weil der Gesundheitszustand des 84-jährigen Ex-Diktators einen Prozess nicht mehr zulässt, dann ist das eine jener rechtsstaatlichen Entscheidungen, die nicht gerecht, aber auf wundersame Art weise sind. Gerecht wäre es, den General vor Gericht zu stellen und zu verurteilen, weil er für Menschenrechtsverletzungen aller Art, Folter und Mord verantwortlich ist. Manche der Opfer gar hätten sicherlich nichts dagegen einzuwenden, wenn Pinochet, statt in einer Luxusvilla bei London den Fortgang des Auslieferungsprozesses abzuwarten, wenigstens eine Idee von den Qualen bekäme, die sie selbst unter seiner Herrschaft zu durchleiden hatten.

Die Opfer fühlen sich um ihre Genugtuung betrogen – und die Pinochet-Anhänger in Chile feiern. Zu Unrecht. Inhaltlich hat Pinochet in den Verfahren der letzten 15 Monate immer nur verloren. Keineswegs sei er als ehemaliger Staatschef per se vor strafrechtlicher Verfolgung geschützt, hatten die britischen Lordrichter befunden – und hatten Pinochet damit vom geachteten prowestlichen Vorkämpfer gegen die kommunistische Gefahr in den Stand des angeklagten Mörders herabqualifiziert: ein tiefer Fall für den selbstgerechten General.

Wenn Pinochet nach Chile zurückkehrt, dann nicht als ewiger Sieger, dem keiner was kann, sondern als Angeklagter, der zu schwach ist, um einen Prozess durchzustehen. Es ist Pinochet zuzutrauen, dass er dennoch seinen Sitz im Senat wieder einnimmt – vielleicht nur einmal, allein schon, um seine Opfer ein letztes Mal zu verhöhnen. Und seine Anhänger werden seine Rückkehr feiern, als wäre er freigesprochen worden. Das gilt es auszuhalten. Politisch ist Pinochet verurteilt. Seine Geschichtsschreibung vom legitimen Militärputsch zur Rettung des Vaterlandes ist revidiert worden. Anders als vor eineinhalb Jahren ist Chile heute reif für den politischen Umgang mit Pinochet.

Immer bestand die Gefahr, den Mörder Pinochet durch eine Verurteilung in der ehemaligen Kolonialmacht Spanien in den Märtyrerstand zu erheben. Mit der voraussichtlichen Freilassung aus humanitären Gründen spuckt die europäische Rechtsstaatlichkeit den siechen General in seine armselige Freiheit zurück – nicht ohne ihm hinterherzurufen, er möge sich ja nicht wieder blicken lassen. Genugtuung? Ja, irgendwie schon. Bernd Pickert