„Es gibt keine guten und schlechten Jobs“

■ Der scheidende Hamburger Arbeitsamts-Chef Olaf Koglin holt Jugendliche ab und wünscht sich eine zwei-Klassen-Ausbildung: Man solle ABM vergessen und ein neues Instrument suchen

taz: Was waren die wichtigsten Veränderungen in Ihren sieben Jahren als Arbeitsamts-Chef?

Olaf Koglin: Erstens, dass wir eine gute Basis für die Zusammenarbeit mit den Behörden erarbeitet haben. Im Senat sitzen viele Praktiker, denen verdanken wir eine entideologisierte Arbeitsmarktpolitik. Zweitens hat die Dezentralisierung der Leistungsabteilung die Situation erheblich verbessert. Statt früher vier bis fünf Wochen brauchen wir jetzt nur noch eine Woche Bearbeitungszeit. Und drittens war wichtig, dass die Bundesanstalt für Arbeit ihre Haushaltsverantwortung dezentralisiert hat. Wir entscheiden jetzt in Hamburg selber, für welche Arbeitsmarktinstrumente wir Geld ausgeben. Aus einem ,ich kann nicht', wird jetzt ein ,ich will nicht–, und das erfordert klare Begründungen.

Was gibt es noch zu verbessern?

Beim Thema Heranführung der Jugend an die Arbeitswelt haben wir erste Ansätze gefunden, aber sind noch lange nicht fertig. Der Erfolg von QUAS (Qualifizierung und Arbeit für Schulabgänger) macht mich nicht glücklich. Denn eigentlich müssten Jugendliche auch ohne Übergang in die Ausbildung gehen können.

Warum können manche nicht?

Das muss sich jeder fragen. Eltern, Lehrer, Jugendliche, Betriebe. Würde da jeder in seiner Ecke kehren, bräuchten wir vielleicht nur halb so viele QUAS-Plätze.

Was halten sie in diesem Zusammenhang von Sanktionen?

Jeder der denkt, Jugendliche allein über das Sperren von Geld zu erreichen, täuscht sich. Geldbeschaffung ist kein zentrales Problem. Druck ist nur sinnvoll, wenn ich Hilfsmöglichkeiten habe.

Wie meinen Sie das?

Ich brauche Instrumente, mit denen ich Jugendliche da abholen kann, wo sie sind. Je weiter jemand vom Arbeitsmarkt entfernt ist, desto weniger kann er einen Arbeitsplatz ausfüllen. Wenn ich das trotzdem verlange, lasse ich ihn gegen die Wand fahren und habe auch selber einen Misserfolg.

Wie funktioniert das, was Sie Abholen nennen?

Ich muss Brücken bauen, die so individuell sind wie die Ursachen dafür, dass jemand nicht sofort mit einer Ausbildung anfangen kann. Aber jeder, der diese Brücken baut, muss auch wieder loslassen. Das ist für die Träger mit ihren finanziellen Interessen schwer. Es fordert ein großes Herz, die Besten wieder abzugeben.

Wo sehen Sie Handlungsbedarf?

Die Bildungsstruktur muss vereinfacht werden. Die Vielzahl von berufsvorbereitenden Maßnahmen durchschaut kaum noch jemand.

Gibt es zu viel Weiterbildung?

Die Einstellung, lieber zur Schule zu gehen, als beispielsweise Gebäudereiniger zu werden, wird von Eltern häufig unterstützt und ist problematisch. Denn es gibt keine guten und schlechten Jobs.

Also lieber arbeiten, als zur Schule zu gehen?

Schule kann zur tödlichen Falle werden, wenn sie Flucht vor der Realität ist. Dann macht sie die Chancen, hinterher Fuß zu fassen, eher kleiner. Da muss ich auch fragen, wieviel ich in diese Flucht eigentlich investieren will. Handelsschulen bieten beispielsweise für viel Geld nichts als Aufbewahrung.

Was folgt daraus?

Vielleicht müsste man schon in der Schule mehr berufliche Inhalte vermitteln. Und die Berufsausbildung muss reformiert werden. Für viele Arbeiten brauche ich nicht zweieinhalb oder drei Jahre zu lernen. Oft scheitert der erfolgreiche Abschluss einer Berufsausbildung an theoretischem Wissen, was derjenige gar nicht bräuchte. Da muss es vereinfachte, praxisorientierte Ausbildungswege geben.

Eine Zwei-Klassen-Ausbildung?

Darüber muss man nachdenken, lieber habe ich zwei Berufsausbildungen und wenig Arbeitslose als eine und viele Arbeitslose. Ich wünsche mir da mehr Offenheit.

Was halten Sie von der Kombination Ausbildung und Studium?

Ich halte die Ausbildung nur für sinnvoll, wenn der Studienabschluss unsicher scheint. Alle anderen sollten den Mut haben, gleich zu studieren und keine Ausbildungsplätze blockieren.

Sie haben vor sieben Jahren angekündigt, offensiv mit ABM und Qualifizierung zu arbeiten. Haben Sie das getan?

Das möchte ich heute revidieren. Ich will nicht möglichst viel, sondern ausreichend Bildung und ABM. Ich habe heute viel differenziertere Vermittlungsmöglichkeiten als damals. Ich muss den Spagat schaffen zwischen einem angemessenen Bildungs- und ABM-Volumen einerseits und angemessenen Lohnnebenkosten andererseits.

Wie beurteilen Sie die Arbeitsmarktpolitik des rot-grünen Senats?

Wir kooperieren vertrauensvoll, und wir sind uns darin einig, dass wir die Realität und nicht die Statistik verbessern wollen.

Wo gibt es Probleme?

Ich wünsche mir, dass ABM sich verstetigt und besser geplant wird. ABM muss auf den Prüfstand. Eigentlich ging es schlicht um die Schaffung zusätzlicher Arbeitsplätze. Jetzt ist ABM oft die letzte Hoffnung für kaum Vermittelbare. Außerdem haben Arbeitsbeschaffungs- und Strukturanpassungsmaßnahmen ein so geringes Volumen, dass sie ein absoluter Nebenkriegsschauplatz sind. In politischen Diskussionen werden sie völlig überbewertet.

Was schlagen Sie vor?

Der Schritt aus der Beschäftigungslosigkeit in einen Betrieb ist so groß, dass ich damit viele Arbeitslose ausschließe. Man sollte ABM vergessen und ein neues Instrument schaffen, das näher am Markt arbeitet. Die Denke bei ABM ist oft: ich suche den richtigen Arbeitslosen für mein Projekt, statt andersherum: Welche meiner Arbeitslosen sind nicht vermittelbar und wie kann ich sie abholen.

Ihre Pressekonferenzen zeichneten sich dadurch aus, dass Sie sich fast immer über die Statistik gefreut haben. War das echt?

Ich bin Optimist, aber ich bin auch ein bißchen Berufsoptimist. Denn je mehr Leute schreien, dass die Welt untergeht, desto wichtiger ist es, dass Einzelne sagen, dass sie weiter besteht. Ich will nichts schönreden, aber als Verwalter der Not brauchen wir auch keine zusätzlichen Unkenrufer.

Interview: Sandra Wilsdorf