„Von den Eltern kommt früh Leistungsdruck“

Gespräch mit Ingo Wulff (51), Kindertrainer-Ausbilder beim Hamburger Fußball-Verband

taz: Schätzungen zufolge haben rund 75 Prozent der Kindertrainer keine entsprechende Ausbildung. Werden also 75 Prozent der Kinder falsch trainiert?

Ingo Wulff: Nein. Da, wo nur gespielt wird, werden wenig Fehler gemacht. Dann bietet der Verein eben die Räume an, die es früher mal auf der Straße gab. Bedenklich wird es nur, wenn diese Räume zu eng sind, weil die Vereine in den jungen Jahrgängen förmlich überrannt werden. Ich bezweifle, dass es richtig ist, Kinder schon früh Fußball „arbeiten“ zu lassen. Der bessere Weg – auch zum erfolgreichen Fußballer – ist der, sie spielerisch, handlungsorientiert lernen zu lassen.

Was sind die größten Fehler im Kindertraining?

Man darf auf keinen Fall ein reduziertes Erwachsenentraining durchführen. Häufig sind die Gruppen viel zu groß, die Überschaubarkeit geht verloren. Die Intensität steigt in einer kleineren Gruppe automatisch an, die Kinder sind häufiger am Ball. Geringe Intensität, große Räume, zu viele Kinder: Das sind immer wieder wesentliche Fehler.

Müssten die Verbände die Vereine nicht stärker in die Pflicht nehmen, was die Teilnahme der Trainer an Lehrgängen betrifft?

Klar, man könnte noch mehr machen. Aber verpflichtend? Ich bezweifle eher, ob die Vereine unbegrenzt Kinder aufnehmen sollten. Die sollten nicht nur auf die Statistik gucken, sondern sich fragen: Kann ich die Verantwortung für eine qualifizierte Ausbildung wirklich übernehmen? Da müsste vielleicht mal die Stopp-Karte gezogen werden.

Im Verbandsleitfaden des HFV für Kindertraining gibt es den schönen Satz: „Erwachsene dürfen nie vergessen, dass in der Arbeit mit Kindern das Morgen viel wichtiger ist als das Heute.“ Wird der Konflikt zwischen einem langfristigen Aufbau und einem kurzfristigen Leistungsanspruch durch das Punktspielsystem bis hinunter in die G-Jugend nicht verschärft?

Als ich Anfang der 90er anfing, legten viele Äußerungen von Lehrgangs-Teilnehmern den Schluss nahe, dass die Trainer weniger an der Ausbildung der Kinder als daran interessiert waren, sich mit der Ruhmestat „Wir sind Meister geworden!“ schmücken zu können. Heute scheint eher der Spaß am Fußball zu dominieren. Es gibt neuerdings zumindest in der Hallenrunde für die F-Jugend keine richtige Meisterschaft mehr. Da ist noch viel zu leisten, aber es beginnt so langsam in die Köpfe vieler Eltern, Betreuer und Trainer hineinzukommen.

Welche Erwartungshaltung haben Eltern überhaupt?

Es gibt viele Eltern, die sich ganz früh am Vorbild Bundesliga orientieren. Die sehen ihr Kind im Trikot, finden das niedlich und wollen dann, dass dieses Kind im Spielbetrieb ähnliche Erlebnisse hat wie ein Profi. Ich weiß, dass Kinder Ergebnisse gar nicht so hoch bewerten, aber die Erwachsenen sehr wohl. Von dort kommt der Leistungsdruck schon früh und ganz stark. Ich hab’ erlebt, dass Eltern ihre Kinder so madig machen, dass sie rausgehen, weil sie nicht weiterspielen können.

Pädagoge, Psychologe, Diplomat, Fußballexperte: Viele Kindertrainer sind damit überfordert – und fordern deshalb auch die Kinder zu sehr.

Jeder Trainer muss sich in seiner Rolle genau definieren – und ein Kindertrainer muss das erst recht. Seine Aufgabe liegt darin, dafür zu sorgen, dass der ihm anvertraute Spieler sich seinen Fähigkeiten entsprechend entwickeln kann. Jeder muss sich fragen: Welche Fähigkeiten habe ich? Und wie kann ich die optimal einsetzen? Man muss einfach auch seine Grenzen erkennen.

Wie wichtig ist Eigenpraxis für die Befähigung zum Kindertrainer?

Bei den ganz Kleinen ist sie nicht wichtig. Ich muss nur in der Lage sein, den Fußball in der Grundstruktur zu begreifen. Ich sollte also schon wissen, was ein Innenseitstoß ist. Wenn ich nicht gut Fußball spielen kann, dann würde ich auch nichts vormachen wollen. Dann hol’ ich mir lieber einen Spieler und sage: „Max, zeig ma, wie das gemacht wird!“ Das ist sowieso besser, als wenn da ein Halbgott Trainer auftritt.

Interview: Jörg Feyer