„Für Europa bringt der Transrapid nichts“

Trotzdem habe die Schwebebahn Chancen, sagt der frühere Siemens-Vorstand Wolfram Martinsen

taz: Ist die Magnetschwebebahn Transrapid mit der Entscheidung von Bahn-Chef Mehdorn endgültig gestorben?

Wolfram Martinsen: Nein, aber das wirft die weitere Entwicklung empfindlich zurück. Denn man braucht unbedingt eine Referenzstrecke, um potenziellen Käufern zu demonstrieren, dass die Technik unter realen Bedingungen funktioniert. Die am Schluss geplante einspurige Trasse wäre dafür nicht ausreichend gewesen. Die Vorteile der Schnelligkeit kommen nur im zweispurigen Verkehr zur Geltung.

Würden Sie den Unternehmen Siemens, Thyssen und Adtranz nun raten, weiterhin an der Magnetbahn zu arbeiten?

Sicherlich, denn der Transrapid bietet auf kurzen und mittleren Distanzen eine sinnvolle Alternative zum Flugzeug. Man kann versuchen, ihn in den USA zu vermarkten, wo der Bahnverkehr schlecht ausgebaut ist.

Passt eine derart teure Großtechnologie überhaupt noch in die moderne Gesellschaft?

Solche Großinvestitionen sind eigentlich nur noch machbar, wenn sie Staat und Wirtschaft in echter Partnerschaft umsetzen. Die Industrie kann heute nicht mehr kommen und sagen: „Lieber Staat, wir haben hier was entwickelt, kauf uns das mal ab.“

Die Industrie wollte zu wenig Verantwortung übernehmen?

Das hat mit Bereitschaft erst mal nichts zu tun. Früher gingen die Unternehmen davon aus, dass sie selbst einfach nur die Technik liefern. Dann wollte die Bundesregierung die Struktur ändern: Die Unternehmen sollten sich an den Risiken des Betriebs beteiligen. Da sahen die Firmen natürlich höhere Kosten auf sich zukommen, die sie angesichts der wirtschaftlichen Aussichten nicht tragen konnten. Staat und Wirtschaft lernen nur sehr mühsam, wie eine Public-Private-Partnership läuft.

Der Transrapid ist eine revolutionäre Technologie: Er bricht mit dem bisherigen System des Schienenverkehrs. Hat er deshalb nicht schlechtere Aussichten als eine besser angepasste Technik wie der ICE?

Für Mitteleuropa stimmt das. Ein Systemwechsel ist hier schwierig, weil die Fortbewegung mit Auto, Flugzeug und schnellen Bahnen schon hervorragend ausgebaut ist. Die entscheidende Anwendung liegt dann aber dort, wo dieser Wechsel leichter fällt, zum Beispiel in USA.

Für Mitteleuropa bringt der Transrapid sowieso nichts?

Nein, es sein denn, man hätte den großen Wurf gewagt. Stellen Sie sich eine Verbindung von Paris über Berlin nach Moskau vor – und dann weiter nach Asien. Eine Kooperation der französischen, deutschen und russischen Industrie wäre doch mal ein zukunftsweisendes Projekt.

Neben dem Transrapid stecken auch Großtechnologien wie die Atomkraft und die grüne Gentechnik in der Sackgasse. Sehen Sie eine Tendenzwende im Verhältnis der Menschen zu den Produkten der Ingenieure?

Die Leute unterscheiden kritischer zwischen dem, was machbar ist und was sie in ökologischer ökonomischer Hinsicht akzeptieren wollen. Ich finde gut, dass man nicht mehr so extrem technikgläubig ist. Die Wirtschaft wird in Zukunft sehr genau untersuchen müssen, wohin die Weiterentwicklung von Technik gehen soll. Großtechnologien sind auch in den Ruch geraten, dass die Industrie sie zur Selbstbedienung gegenüber dem Staat nutzt. Es wäre aber fatal, nach dem Scheitern des Transrapid zwischen Hamburg und Berlin einen grundsätzlichen Abgesang auf große technologische Vorhaben anzustimmen.

Interview: Hannes Koch