Heavy Rock will never die

■ Eine Metal-Band, für die sich keiner schämen muss: Queensryche begeisterte im Pier 2

Als ich heute Morgen die Wohnung verließ, um Kippen zu holen, entdeckte ich auf dem Sperrmüllhaufen vor meinem Nachbarhaus einen kompletten Atari ST mit Monitor, Drucker und Maus. Ich erinnerte mich wehmütig an die Zeiten, in denen es unter den Homecomputerfreaks zwei quasi-religiöse Glaubensgemeinschaften gab, die Bekenntnisgemeinde des Atari ST und die Commodore Amiga-Sekte.

Es war die Zeit, in der Heavy Metal noch groß war: ein roter Riese kurz vor dem Schrumpfen zum weißen Zwerg. Der „True Metal“, wie er heute noch von Poser-Combos wie Manowar beschworen wird, befand sich auf dem Rückzug. Einige Bands experimentierten mit neuen Sounds. Iron Maiden brachte das synthesizerbefeuerte und unter Fans umstrittene „Seventh Son“-Konzeptalbum heraus. Und Queensryche, die Band mit den zwei eigenwilligen Punkten überm Ypsilon, die jeden Setzer in die Verzweiflung treiben, spielten sich mit dem Album „Operation: Mindcrime“ in die Herzen der progressiven Metalmaniacs.

Die machen ihr Ding

Schnitt, Einblendung Zwischentitel: „12 Jahre später“. Das „PIER 2“ ist voll von Mittzwanzigern und Mittdreißigern. Die Supportband, die nicht der Rede wert ist, hat gerade die Bühne geräumt. Letztere erinnert auf den ersten Blick an Pink Floyd: ein Halbkreis, in dessen Mitte eine runde Leinwand hängt. Und auch die Setlist, die fast die komplette „Operation: Mindcrime“ enthält, gemahnt an die Monumentalrocker; hatten die doch auf der '94er „Division-Bell“-Tour das vollständige „Dark Side of the Moon“-Album gespielt. Aber damit sind die Gemeinsamkeiten auch schon erschöpft. Überhaupt ist es schwer, in der jüngeren Musikgeschichte Bands zu finden, die auf Queensryche verweisen oder umgekehrt. Die haben einfach immer ihr eigenes Ding gemacht, völlig unbeeindruckt von den herrschenden Metal-Moden.

Gut, manchmal erinnern sie ein wenig an Judas Priest in ihren besten Jahren, obwohl Frontmann Geoff Tate um Klassen besser singt als Bob Halford. Und Drummer Scott Rockenfield versierter ist als Dave Holland. Technischer Perfektionismus wird groß geschrieben bei den fünf Amerikanern. Ein Bekannter von mir kreidete ihnen an, in Interviews ausschließlich über Instrumente fachzusimpeln. Die Songtexte jedoch, ganz schön kritisch und politisch für eine Metal-Combo, sind weitaus gehaltvoller.

Und dann kommen sie. Geoff Tate war zwischenzeitlich beim Frisör, präsentiert sich jetzt in halblangem Yuppie-Look. Aber die Stimme ist immer noch grandios. Frisch und jung sehen sie aus, bis auf Gitarrist Michael Wilton, der doch etwas mitgenommen wirkt. Als Opener spielen sie „Revolution Calling“, gefolgt von „Speak“, beide von „Operation: Mindcrime“. Es folgen zwei Stücke vom aktuellen Album „Q2K“, dann ein ganz altes. Und in diesem Muster geht es weiter, Queenryche zappen munter durch die eigene Geschichte.

Da klafft stilistisch schon mal einiges auseinander; zum einen sind die neuen Titel eine Spur härter und melodisch weniger eingängig als die alten, zum anderen waren auch die früheren Alben nie ganz homogen. Da gibt es richtige Knaller mit Gitarrenduellen à la Iron Maiden, Stücke mit überraschender Songstruktur und Anklängen ans Monumentale (die Synthie-Teppiche und Soundeffekte kamen aus dem Off) – aber auch ganz sanfte Balladen voll romantischem Überschwang, wie zum Beispiel das zum Heulen schöne „Silent Lucidity“ vom 1990er Album „Empire“, auf das ich – ich gestehe es – den ganzen Abend gewartet habe. Ich wurde nicht enttäuscht.

Insgesamt war es, mal abgesehen von der brutalen Lautstärke, ein äußerst angenehmes Konzert. Ein abwechslungsreiches, rundes Programm mit nur einer Zugabe; gut abgemischter Sound; eine farbenfrohe, aber nicht protzige Lightshow; ab und zu mal ein paar nette, psychedelische Muster auf der runden Leinwand; keine Pyrotechnik – aber dafür technisch brillante und dennoch keineswegs gelangweilte Musiker, die, wie es ihre Art ist, nicht albern herumposten oder unsägliche Klamotten trugen. Das ist doch mal eine Metal-Band, für die man sich nicht zu schämen braucht. Tim Ingold