Mehr als keltisches Sonstwas

■ Ein Portrait des schottischen Folk-Gitarristen Ian Melrose, dessen Musik nichts zu tun hat mit geläufigen Irish-Pub-Ritualen wie Guinness-Trinken und „Whiskey In The Jar“-Singen

Wenn er im Scheinwerferlicht einer Bühne sitzt, sieht Ian Melrose auf den ersten flüchtigen Blick aus wie Roger Whittaker: lichtes krauses, graues Haar mit tiefen Geheimratsecken, Vollbart. Eine Brille trägt er und Gitarre spielt Ian Melrose auch. Doch während man Roger Whittaker freundlich formuliert als Liederschreiber und -interpret bezeichnen kann, ist Ian Melrose ein Komponist. Gelernt hat er das nie, aber einige Jahre klassischer Klarinettenunterricht und seit dem 11. Lebensjahr learning by playing auf der Gitarre haben geschult.

Ian Melrose wohnt auch nicht wie Plattenmillionär Whittaker in einer Luxusvilla an einem hübschen Fleck dieser Welt. Er lebt, seit er sich 1981 in Berlin eingerichtet hat, in einer Ein-Zimmer-Wohnung in einem Hinterhaus nahe der Kantstraße. Viel dürfte sich in den Jahren, als er hier als Germanistikstudent und Gitarrenlehrer eingezogen ist, nicht geändert haben.

Die Teppichböden sind abgelaufen, das Mobiliar ist spartanisch: eine Matratze auf dem Boden, ein Bücherregal, ein schwarz gestrichener runder Kneipentisch, ein voller Schreibtisch, ein Schrank, daneben eine Holzkommode, und zwischen den Fenstern ein CD-Regal, eine Anlage und das mit einem Tuch abgedeckte Heimstudio. Ein Ficus trennt Bett und Tisch. Wenn er zu Hause und nicht auf Tour ist, sitzt Ian Melrose hier morgens mit dem ersten Pott Tee und spielt zwei, drei Stunden auf seinen Gitarren. Auf einer Steel-Strung-Gitarre, der Dobro unter den Gitarren, gelegentlich auf der alten Waldzither an der Wand: „Die hat ein Freund auf der Müllkippe gefunden“.

Seine Finger huschen über den Gitarrenhals wie beim Erzählen in der leeren Luft, als er erklärt, warum er ausgerechnet irische und schottische Folkmusik macht, bei der auch die zuständigen Redakteure dieser Zeitung nur müde lächelnd abwinken: „Es ist schwer zu vermitteln, dass irische Musik nicht nur Guinness-Trinken und ‚Whiskey in the jar‘-Singen ist, sondern auch sehr virtuose Musik auf Harfe, Flöte und Gitarre, die gleichrangig mit jeder anderen World Music ist.“ (Immerhin haben das hunderte, andächtig zuhörende Menschen auf den zweimal jährlich stattfindenden Celtic Festivals in einer ausverkauften Passionskirche längst erkannt.)

Als er noch ganz unbekannt war, musste Ian Melrose in den billigsten Berliner Kneipen auftreten, zwischen Flippern und grölenden Betrunkenen. Am Ende bekam er zudem nur die Hälfte der Gage. Heute, wo er sich in der Folkszene als Solist und als Studiomusiker und Tourneegitarrist der Kultband Clannad einen Namen gemacht hat, sind ihm mit der inflationären Entstehung von irischen Pubs ganz andere Probleme gewachsen: „Seit es diese Pubs gibt, muss man den Leuten viel deutlicher machen, dass es sich bei ,keltischem Sonstwas‘ für 20 Mark Eintritt um etwas anderes als Kneipenmusik handelt, die sie zwischen Bier und Unterhaltung in einem Pub umsonst haben.“ Wirklich aus der Ruhe bringt das den mittlerweile 41-Jährigen nicht. Neben seinem Bett steht eine angefangene Flasche Rotwein, auf dem nachmittäglichen Tisch duftet Gewürztee. Er sagt: „Ich genieße das, so zu leben.“

Seit er 1987 entschied, ausschließlich Musik zu machen, hat er Frieden mit sich geschlossen: „Ich merkte, dass die anderen Sachen kamen und gingen, aber die Musik der Faden war.“ Auch zu der Folkmusik mit Einflüssen des Jazz und Flamencos, die er auf der Gitarre beherrscht, gelangte er erst mit den Jahren: „Die schottische Musik fand ich als Kind noch ganz schrecklich, alt und verstaubt.“ Heute glaubt er sie zu verstehen, nicht zuletzt weil ihm die Borduns der Dudelsäcke, die Dauertöne der Pipes seine Heimat in der Ferne erklären: „Es sind diese Weite und Sehnsucht darin, die mich anziehen.“

Manchmal träumt er davon, wieder in einem Haus an der schottischen Küste, wo er in Ayr aufgewachsen ist, zu leben. Aber dafür reichen die Einnahmen noch nicht. Er nimmt einen Schluck Tee und faltet die Hände vor dem ebenfalls mit den Jahren gewachsenen Bauch. Er liebt es so zu leben, mit dem Risiko eines freien Musikers. Zu lieben, aber ohne Familie: „Einem Kind kann man nicht die Kleidung oder das Essen verweigern, bei sich selbst kann man das flexibler gestalten.“ Kein Seufzen, auch wenn sein jüngstes Solo-Album „Between the Sighs“ heißt, „Zwischen den Seufzern“. Wenn er spricht oder spielt, gibt es keine Zwischentöne, nur leise Leidenschaft. Petra Welzel

Infos zu CDs und Konzerttermine unter: members.aol.com/ivmelrose