Emanzipation durch Krieg

In der Ausstellung „Deutsche Jüdische Soldaten“ dokumentiert das Militärgeschichtliche Forschungsamt der Bundeswehr ein tragisches Missverständnis – und das dezidiert nestbeschmutzerisch ■ Von Christian Semler

Kaum jemals ist ein Stereotyp so in sein Gegenteil verkehrt worden wie im Fall der angeblich militär- und kriegsuntauglichen Juden. Seit der Staat Israel nicht nur den „Blitz“ beherrscht, sondern anschließend auch noch ganze Kriege gewinnt, sind es eigentlich „unsere Jungs“ , die den Arabern Mores lehren. Und doch: Jahrhunderte lang hat sich der Judenhass von dem Vorurteil genährt, die Juden seien wegen ihrer „materiellen Gesinnung“ und ihrer „Wurzellosigkeit“, ganz außerstande, „sich dem Vaterland aufzuopfern“.

Das Militärgeschichtliche Forschungsamt der Bundeswehr, seit langer Zeit eine wichtige Agentur zur Verbreitung von Kenntnissen über die Verbrechen der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg, hat sich des Themas „Deutsche jüdische Soldaten“ schon in den 80er-Jahren angenommen. Eine Ausstellung wurde erarbeitet und jetzt historisch nach rückwärts erweitert bis zur Zeit der Aufklärung. Das Endprodukt kann sich sehen lassen – seit Mitte dieser Woche im Potsdamer Rathaus.

Die Ausstellung verfolgt keineswegs den Impuls, durch die retrospektive Eingemeindung der Juden die deutsche Militärgeschichte aufzupolieren. Sie ist vielmehr dezidiert nestbeschmutzerisch angelegt. Demonstriert wird ein trostloses Missverständnis. Gerade um ihrer Identifikation mit „Deutschland“ die letzte, unwiderlegliche Glaubwürdigkeit zu verleihen, eilten Deutschlands Juden seit den Befreiungskriegen zur Fahne. Im Ersten Weltkrieg standjeder zweiter Jude zwischen 15 und 60 Jahren an der Front. Die deutschen Juden vertrauten sich einer Institution an, die durch und durch von antisemitischem Geist geprägt war – sie glaubten an die Verbindung von Krieg und Emanzipation.

Eine schreckliche Täuschung, aber kaum vermeidbar. Denn die deutsche jüdische Gemeinschaft war Teil der größeren deutschen Gesellschaft. Sie war, wie Julius H. Schoeps es in seinem Einleitungsreferat zur Ausstellungseröffnung formuliert, „im Geschmack konventionell und in der Gesinnung patriotisch“. In einem jüdischen Witz wurdenNeuankömmlinge im Palästina der dreißiger Jahre gefragt: „Kommst du aus Überzeugung oder kommst du aus Deutschland?“

Es gehört zu den Verdiensten der Ausstellung, die Geschichte dieses Missverständnisses präzise dokumentarisch aufzubereiten. Wer wusste schon, dass der deutsche Jude Baruch Eschwege Freiwilliger in „Lützows wilder verwegener Jagd“ war, jener Guerilla-Truppe gegen Napoleon, die bis zu den Nazis zum eisernen Bestand des Mythos von der „nationalen Befreiungsbewegung“ wurde.

Wie übel wurde diese überbordende Liebe zu Deutschland vom Militärapparat entlohnt. In der Ausstellung sehen wir den Antrag des Soldaten Itzigsohn, seinen Namen ändern zu dürfen. So zu heißen, bedeutete Schikane und Spott seitens der christlichen Kameraden. Die Beförderung der jüdischen „Einjährigen“ zu Unteroffizieren, das Tor zum ersehnten Status des „Reserveoffiziers“, wurde ebenso oft wie grundlos verweigert. Noch 1916 gab die Heeresleitung den Zählungserlass heraus, um die Zahl waffenfähiger jüdischer Männer an der Front, in der Etappe und in der „Heimat“ festzustellen – ein offener Ausdruck antisemitischen Argwohns.

Nichts, auch nicht die Nazis, konnte diese Identifikation der deutschen Juden mit Deutschland erschüttern. Am Eingang der Ausstellung sieht man lebensgroß die Fotografie des Kaufmanns Richard Stern, der 1933, beim Boykott der jüdischen Geschäfte durch die SA, an seiner Ladentür steht, angetan mit dem im Ersten Weltkrieg verliehenen „Eisernen Kreuz“. Ein kaum sichtbares Lächeln auf den Lippen. Verlegenheit, wie Major Popp, der Führer durch die Ausstellung, meint? Eher Verachtung und das Bewusstsein darüber, wer der „bessere Deutsche“ sei.

Dem Besuch der Ausstellung sollte sich unbedingt ein weiterer anschließen: der zum Geviert des Soldatenfriedhofs auf dem jüdischen Friedhof Weißensee. Unter einer steinernen Nachbildung des berühmten bronzenen Löwen auf dem Scharnhorst-Grabmal am Invalidenfriedhof ruhen hier gefallene jüdische Soldaten des Ersten Weltkriegs. Die Nazis haben sich die Beseitigung dieser Schande bis zum „Endsieg“ aufgehoben. Noch nach 1933 ließen sich jüdische Kriegsteilnehmer hier beerdigen. Ein letzter, verzweifelter Hinweis ihrer Zuneigung zum undankbaren Vaterland.

Bis zum 27. Januar im Alten Rathaus in Potsdam, Am Alten Markt, Di-So, 10-18 Uhr