„Verlogener geht es nicht“

■ Bundesumweltminister Jürgen Trittin zum Streit über die Atom-Endlager und zum überfälligen Ausstieg: „Weniger kostengünstige Reaktoren müssen umgehend abgeschaltet werden“

taz : Wie kommen Sie mit Ihren Bemühungen um den Atomausstieg voran, Herr Umweltminister?

Jürgen Trittin: In den vergangenen Monaten hat sich die Bundesregierung darum bemüht, auch für den Fall eines Dissenses mit den Energieversorgern einen Weg zum Ausstieg vorzubereiten. Die Bundesregierung wird nun am 19. Januar ihre Position endgültig festlegen und danach die Unternehmen erneut zu Gesprächen einladen. Die Bundesregierung wird sich am kommenden Mittwoch auch mit dem Ende der Wiederaufbereitung von abgebrannten Brennelementen befassen. Dem Ergebnis dieses Gesprächs werde ich aber durch Äußerungen in der Öffentlichkeit nicht vorgreifen.

Die Spitze der Grünen hat sich ja auf eine Restlaufzeit von 30 Jahren für alle Reaktoren festgelegt. Dazu soll bei einem Ausstieg per Gesetz noch eine Übergangsfrist kommen.

Die Grünen wollen so schnell wie möglich aussteigen. Dabei bedarf der Ausstieg in jedem Fall einer gesetzlichen Regelung. Auch ein Ausstieg im Konsens geht nur mit Hilfe eines Gesetzes. Bei der Vorbereitung einer gesetzlichen Befristung der AKW-Restlaufzeiten, an der sich eine ganze Reihe von Ressorts beteiligen, waren schwierige verfassungsrechtliche Probleme zu beachten. Wir sind sicher, mit einer Befristung auf etwa 30 Jahre eine Lösung gefunden zu haben, die einer verfassungsrechtlichen Überprüfung nach einer Klage der Unternehmen in jedem Fall Stand hält. Eine zusätzliche Übergangsfrist bis zur Stillegung muss dabei nur zwei Atomkraftwerken zugestanden werden. Sie beträgt in dem einen Fall drei Jahre, im zweiten ein Jahr.

Selbst bei einem Ausstieg im Dissens werden Sie demnach in dieser Legislaturperiode kein AKW mehr stilllegen. Wollen Sie überhaupt noch vor den nächsten Wahlen mit dem Ausstieg beginnen?

In den Verhandlungen mit den Unternehmen werden wir über die Flexibilisierung der Restlaufzeiten sprechen. Eine mögliche Flexibilisierung von Restlaufzeiten innerhalb eines festen Rahmens gibt den Unternehmen auf der anderen Seite die Möglichkeit, die Kraftwerke mit einer besonders günstigen Kostenstruktur länger zu betreiben. Dafür müssen dann jedoch andere weniger kostengünstige Reaktoren umgehend abgeschaltet werden. Insofern bringt eine Einigung in den Konsensverhandlungen beiden Seiten Vorteile. Auch das Ein-Endlager-Konzept der Bundesregierung, in dem für ein eigenes Endlager für schwach Wärme entwickelnde Abfälle im Schacht Konrad keinen Platz ist, lässt sich sicher im Konsens leichter durchsetzen.

Um den Schacht Konrad gibt es ja erneut Streit mit dem Land Niedersachsen, das sich von Ihnen zu einer Genehmigung des Endlagers gedrängt fühlt.

Wir haben Niedersachsen nie zu einer Genehmigung dieses Endlagers gedrängt oder gar angewiesen. Im Gegenteil – ich habe dem niedersächsischen Umweltminister in diesem Verfahren zahlreiche Prüfaufträge erteilt, die der Umweltminister des Landes, Wolfgang Jüttner, der ja schon 1998 das Endlager Konrad für genehmigungsfähig hielt, jetzt noch bearbeiten muss.

Aber das Bundesamt für Strahlenschutz, an das Jüttner ihre Fragen weitergeleitet hat, hält das Endlager für sofort genehmigungsfähig. Das Ihnen nachgeordnete Amt hat in einem Schreiben an Jüttner alle von Ihnen aufgeworfnen Fragen als bereits geklärt angesehen.

Genehmigungsbehörde für den Schacht Konrad ist nicht das Bundesamt für Strahlenschutz, Genehmigungsbehörde ist in eigener Wahrnehmungskompetenz das niedersächsische Umweltministerium. Das Bundesamt für Strahlenschutz ist in diesem Verfahren Antragsteller. Es hat also in diesem Verfahren gar nichts zu prüfen. Prüfungen sind ausschließliche und alleinige Aufgabe des Landes Niedersachsen. Zu weiteren Prüfungen in dem Konrad-Verfahren hat sich das niedersächsische Umweltministerium im Oktober vergangenen Jahres in einem bundesaufsichtlichen Gespräch in meinem Hause verpflichtet. Das Bundesumweltministerium hat in diesem bundesaufsichtlichen Gespräch bestimmte Prüfaufträge erteilt. Bis heute steht die Antwort des Landes Niedersachsen auf dieses Prüfprogramm aus. Stattdessen inszeniert Herr Jüttner erneut ein öffentliches Possenspiel.

Der niedersächsische Ministerpräsident Sigmar Gabriel wirft Ihnen vor, auch eine Genehmigung der Pilotkonditionierungsanlage (PKA) Gorleben anzustreben, in der Atommüll endlagerfähig verpackt und defekte Castorbehälter repariert werden sollen.

Das ist eine weitere schlechte öffentliche Inszenierung. Wenn Herr Gabriel bei der Pilotkonditionierungsanlage von einer Doppelzüngigkeit des Bundes spricht, kann ich dazu nur sagen: Verlogener geht es nicht mehr. Genauso wenig, wie wir Niedersachsen dazu drängen, ein Endlager im Schacht Konrad zu genehmigen, genauso wenig verlangen wir von dem Land eine Genehmigung dieser Anlage. Wir haben dem Land auch keineswegs eine Genehmigung der PKA nahegelegt, wie es Herr Gabriel behauptet. Bei der Pilotkonditionierungsanlage Gorleben hat sich das Land durch eigenes schlampiges Verwaltungshandeln in eine Situation gebracht, in der es einen Knebelvertrag mit dem Antragsteller der Anlage, der Gesellschaft für Nuklear Service, abschließen musste. Nur weil ihm vom Land eine Genehmigung zugesichert wurde, hat der Antragsteller zunächst auf Schadenersatzforderungen verzichtet. Wenn das Land hier immer mit einem Finger auf den Bund zeigt, so weisen mindestens drei Finger auf Niedersachsen zurück.

Wann kommt das seit einem Jahr versprochene Moratorium für das Endlager Gorleben?

Auch diese Frage wird Gegenstand der Verhandlung zwischen Industrie und Regierung sein.

Aber in das Zwischenlager Gorleben sollen schon im Frühjahr Castorbehälter mit Wiederaufarbeitungsabfällen aus Frankreich rollen.

Diese Behälter stehen seit Jahren in La Hague zum Abtransport bereit. Sie werden dort quasi illegal oder zumindest scharf an der Grenze der Legalität zwischengelagert. Dass wir diesen Atommüll zurücknehmen müssen, ist unbestritten. Dass eine Aufnahme dieser Behälter nur im Zwischenlager Gorleben möglich ist, dürfte bekannt sein. Allerdings liegen die Genehmigungsvoraussetzungen für den Rücktransport noch nicht vollständig vor. Insofern kann auch ich über den Zeitpunkt des Transportes nur spekulieren.

Kommt dieser Transport nun noch im Frühjahr vor Beginn der Weltausstellung in Hannover?

Ich kenne den Zeitpunkt des Transportes nicht und kann ihn deswegen Ihnen auch nicht nennen. Interview: Jürgen Voges