Die husten, die Briten!

Das Gesundheitssystem in Großbritannien krankt an chronischer Finanzschwäche. Patienten sollen in Frankreich behandelt werden

Jeder britische Gesundheitsminister, so schreibt die Financial Times, habe zu Beginn des Winters traditionell denselben Wunsch: entweder gar keine Grippewelle, oder aber eine furchtbare Grippe-Epidemie, damit der Bevölkerung einsichtig ist, warum der Gesundheitsdienst kollabiert. In diesem Winter ist der Wunsch nicht in Erfüllung gegangen, mit geschätzten 144 Grippekranken pro 100.000 Einwohnern ist die Epidemiegrenze von 400 noch lange nicht erreicht. Dennoch funktioniert nichts mehr. Die Intensivstationen sind voll, Patienten müssen in Mobilkliniken auf den Parkplätzen behandelt werden.

Die Labour-Regierung sucht nach Sündenböcken. Da sind einmal die Kranken, die sich trotz ärztlicher Warnungen im Herbst nicht impfen ließen – nur knapp 40 Prozent der am meisten gefährdeten Altersgruppen haben von der Impfung Gebrauch gemacht. Und außerdem hätten die Tories den Gesundheitsdienst an den Rand der Belastbarkeit gebracht.

Das stimmt nur zum Teil. Sicher, die Politiker haben immer wieder mehr Effizienz gefordert. Das führte dazu, dass die Bettenzahl in den vergangenen zehn Jahren um 17 Prozent gesunken ist, die verbliebenen Betten sind zu mehr als 95 Prozent ausgelastet. Der Engpass setzt nun eine Spirale in Gang: Die ohnehin langen Wartezeiten bei nicht akuten Operationen werden immer länger.

Dabei war Labour vor zweieinhalb Jahren mit dem Versprechen angetreten, die Warteliste um 100.000 Menschen zu kürzen. Der Gesundheitsdienst sollte verbessert werden, ohne freilich von der Tory-Sparpolitik wesentlich abzurücken. Zwei Winter lang fiel der Widerspruch nicht weiter auf, denn das Land blieb von Grippewellen weitgehend verschont. Erst im vergangenen April wurde ein Investitionsplan über drei Jahre verabschiedet, und nun veröffentlicht die Regierung alle halbe Jahre Zwischensummen, die vorgaukeln sollen, dass es sich um zusätzliche Gelder handle. Tony Blairs Vorgänger John Major hatte versucht, die öffentlichen Dienste zu verbessern, sie sollten transparenter arbeiten und rechenschaftspflichtig sein. Major ist damals an Finanzproblemen gescheitert, hatte aber die Entschuldigung, dass eine Rezession herrschte. Darauf kann sich Blair nicht berufen.

Tatsache ist, dass Großbritannien bei den Gesundheitsausgaben in Europa weit hinten liegt. Umgerechnet auf die Bevölkerungszahl geben die Briten nur gut die Hälfte von dem aus, was die Deutschen oder Franzosen bezahlen, die deshalb über doppelt so viele Krankenhausbetten verfügen. Und die Zahl der Ärzte ist in Britannien ebenfalls niedriger, sie liegt bei 60 Prozent des Durchschnitts der entwickelten Länder. So droht Großbritannien nun eine schmerzhafte Demütigung: Es gibt Überlegungen, Patienten nach Frankreich, ins Land des Rindfleischfeindes, zu verlegen. Dort tobt die Grippe zwar weitaus heftiger – aber die Franzosen haben 60.000 überschüssige Betten. Ralf Sotscheck