Wenn Caruso wüsste

■ Tenorismo: 6 Caruso-Klons versuchten's erneut in Bremen, wieder ohne Erfolg, dafür mit nettem Augenzwickern für die Damen

Schon vor vier Jahren war der Saal – damals im Congress-Zentrum – nur halbvoll. Dieses Mal war's noch katastrophaler: knapp 300 Menschen saßen nun im großen Saal der Glocke in einer Sitzordnung, die der Komik nicht entbehrte, da von jeder Preisgruppe gerade mal zwei Reihen besetzt waren. Dann waren über zehn leer, dann wieder einige voll usw. “Hier wird mit niedersten Instinkten Geld gemacht“, geißelte der ehemalige Salzburger Intendant Gerard Mortier in seinem Bremer Vortrag die Auftrittsorgien der drei Tenöre Car-reras/Pavarotti/Domingo. Aber die abgekupferte Show mit sechs italienischen no-name-Tenören bringt noch nicht mal das zustande: da wird alles gemacht, nur kein Geld. “O sole mio – Festival der Tenöre“ hieß vor vier Jahren die Aneinanderreihung von über dreißig gestaltungslos gegrölten Arien. Diesmal titelten die Veranstalter anspruchsvoller: „Enrico Caruso-Gala, Hommage an den unvergesslichen Enrico Caruso“.

Wenn der vielleicht größte Bel Canto-Sänger unseres Jahrhundert wüsste, was hier unter seinem Namen als Bel Canto verkauft wird, er würde sich im Grabe herumdrehen. Zunächst einmal zur Präsentation: Da wird im Programmheft angekündigt, dass unsere sechs Barden die große Tradition der italienischen Jahrhunderttenöre fortsetzen werden und dann undifferenziert große Brüller wie Franco Corelli, Lungenkraftdonnerer wie Mario del Monaco mit atemberaubenden Belcantisten wie Tito Schipa in einer Linie genannt. Da wird behauptet, Guiseppe di Stefano habe die „wundervolle Bel Canto-Stimme“ von Michele Tiziano entdeckt: Bel Canto ist keine Stimme, sondern eine Technik.

Ist ja auch egal, denn unsere Sänger zeigten mit geringen Unterschieden genau diesen Bel Canto nicht, sondern stützten sich auf ihr eindrucksvolles Naturmaterial, das immer und immer wieder die Vorschriften der Komponisten niedermachte: So das hohe C in Verdis Troubadour, das es in der Partitur gar nicht gibt (der in Spitzentönen stets rot anlaufende Michele Tiziano). Oder der in grellem Fortissimo gestemmte Schlußton von „Celeste Aida“ von Verdi, für den der Komponmist ein pianissimo vorschrieb. Dieser Sänger – er hieß Alexander Gurets – bot zudem breitbeinig und eher in Kraftsportpose eine extreme Nuscheligkeit in der Artikulation. Die Arie des Alfredo aus „La Traviata“ schließt mit einem „Diminuendo“, also einem „Leiser werden“, dem noch ein „Dolcissimo“ folgt. Guillermo Dominguez riss auch diese Phase in ein erschlagendes Fortissimo, das er zudem mit einem Vibrato ausstattete, das Unsicherheit über die Tonhöhe aufkommen ließ.

Und dann Aldo Filistad: Der war wie Michele Tiziano auch damals schon dabei und läuft noch immer beim letzten Ton aus unerklärlichen Gründen von der Bühne. Witzig. Ansonsten vermeidet er erfolgreich eine der wichtigsten Techniken des Bel Canto: das Messa di voce, das regelmäßige An- und Abschwellen des Tones auf einem Atem. Caruso hat daran ein Leben lang geübt. Doch Filistad verwandelt seinen lauten Ton ruckartig in ein gesäuseltes, vollkommen substanzloses Piano. Als Ausgleich zwinkert er gerne den Damen im Zuschauerraum zu. Einen weitaus besseren Eindruck machte Giuseppe Costanzo, der gelegentlich mit einem strömenden Legato überzeugte. Carlo Torriani bot die beiden großen Szenen des Othello von Verdi, lief eifersüchtig und wirr auf der Bühne rum und starb dann einen schönen Tod im Frack. Die Stimme rutscht ihm öfter mal im dem Hals. Nein, so geht das nicht. Hatte vielleicht Friedrich Nietzsche recht, der meinte, mit einer lauten Stimme im Hals sei man unfähig, feinere Sachen zu denken. Auch vokaler Exhibitionismus verlangt Können und Konzeption. Wie man Gesangskunst vorzeigt, wenn man sie denn kann, das hat neulich beispiellos Cecilia Bartoli vorgemacht.

Auch die begleitende Klimperei von Franco Sioli wirkte wie eine Karrikatur der Orchestersprache und zeichnete sich immerhin dadurch aus, die Ungenauigkeiten der Sänger irgendwie auszugleichen. „Da sind wir aber auf unsere Kosten gekommen“, meinte eine Dame im Rausgehen. Schön für sie. Ute Schalz-Laurenze